Schulterschluss und Todesstoß am Küniglberg

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Albert Sachs
Der ORF stellt sein hochgelobtes Wissenschafts- und Digitalformat „Topos“ ein. Des Geldes wegen. Und nicht ganz freiwillig. So pfeifen es zumindest die Spatzen von den Dächern der Verlagshäuser.

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Vor wenigen Wochen erst wurde groß ein österreichischer und alle Mediengattungen umfassender – auch wenn zumindest dieser Punkt nicht ganz stimmt – Schulterschluss zelebriert. Wenn es gegen einen großen, übermächtigen Gegner geht, gegen den es aber ohnedies nichts auszurichten gibt, sind sich ORF und der Verlegerverband VÖZ einig. Auch beim Anzapfen öffentlicher Geldquellen. Doch sonst fliegen rund um den Wiener Küniglberg die Hackln tief. Mit entsprechenden Kollateralschäden. Und dabei trifft es, wie so oft, die Schwächsten.

Doch von vorne. Vor dem Donnerstagsfeiertag Fronleichnam berichteten verschiedene Medien, dass der ORF sein digitales Wissenschafts- und Feuilleton-Format „ORF Topos“ noch im Verlauf des Jahres einstellen will. „Aus Kostengründen und strategischen Erwägungen”, heißt es vom Küniglberg dazu. Der erste Punkt scheint klar, gilt doch der Sparefroh neben Generaldirektor Roland Weißmann seit langem als der wichtigste Manager im ORF. Wie massive der Spardruck bei dem öffentlich-rechtlichen Sender ist, merken die Zuseherinnen, Hörer und User:innen der ORF-Angebote mittlerweile täglich. Ein untrügliches Zeichen sind beispielsweise die immer früher startenden Sommerpausen diverser Programmschienen im Fernsehen und die damit einhergehenden – allerdings nicht nur dadurch bedingten – immer öfter in das Programm eingestreuten und in immer kürzerer Frequenz folgenden Wiederholungen.

Punkt zwei bedarf einer näheren Erläuterung. Denn es scheint so, dass „ORF-Topos“ den ständigen Reibereien der (noch) großen österreichischen Verlagshäuser mit dem ORF rund um dessen Digital-Angebot zum Opfer fällt. Um die Verleger, Herausgeber und deren Interessenvertretung VÖZ (Verband Österreichischer Zeitungen) zu besänftigen, werde „Topos“ geopfert, besagen intensive Branchengerüchte.

ORF-Topos zählt zweifellos zu den erfreulichsten österreichischen Medien-Gründungen der vergangenen Jahre. Obwohl etwas stiefmütterlich behandelt und kaum werblich flankiert, fanden die fundierten, nicht immer alltäglichen Beiträge eine treue Fangemeinde. Und durchaus auch ORF-intern Anerkennung. Im Jahr 2022 mit dem Ziel, ein „Digitalangebot für kulturell und gesellschaftlich Interessierte mit neuen Erzählformen“ zu schaffen, gelang dem Format sogar der crossmediale Brückenschlag und der ORF überschrieb damit auch immer wieder diverse TV-Dokumentationen. Jetzt ist also bald Schluss mit diesem hochwertigen journalistischen Angebot, auch wenn einzelne Inhalte künftig in das restliche ORF-Angeboten einfließen sollen.

Der milliardenschwere Medienkonzern ORF beginnt ausgerechnet bei einem kleinen, aber frisch-fröhlich sprießenden Medienpflänzchen zu sparen. Praktisch, wenn man mit einem solchen Schritt auch noch die lästigen Verleger etwas besänftigen kann. Die sehen in der „blauen Seite“ des ORF und deren Beibooten bekanntlich ein massives Ärgernis, beklagen im Dauerton ein zu „zeitungsähnliches Angebot“ und lassen keine Gelegenheit aus, um alles rund um ORF.at madig zu machen. Mit dem Aus für ORF-Topos hat es die österreichische Printfraktion nun endlich geschafft, ein winziges Löchlein in die dicken, das Angebot von ORF.at schützenden Bretter zu bohren.

Schade, zumal kaum eine digitale Plattform aus dem Zeitungs- und Zeitschriftenlager, inhaltlich und qualitativ etwas ähnliches zu bieten hat. Und vermutlich die sich auftauende Lücke auch nicht zu eigenen Inhaltsinnovationen nutzen wird.

Dafür geht für Journalistinnen und Journalisten, für an Themen abseits des Gewöhnlichen Interessierte eine kleines, aber sehr lebendiges Biotop verloren.

Der VÖZ, der Verband Österreichischer Zeitungen und seine Mitglieder haben die digitale Transformation weitgehend verschlafen, dafür befinden sie sich auf dem Wandelpfad hin zum Verband Österreichischer Zusperrer. 

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