Herr Feyen, welche digitalen Potenziale werden Ihrer Meinung nach, von Unternehmen noch nicht vollständig genutzt?
Jens Feyen: Als größtes Problem empfinde ich das mangelnde Know-how auf Kundenseite. Allein wenn man sich die DMEXCO ansieht: In Deutschland gibt es aufgrund der Größe des Marktes mehr Leute, die sich spezialisieren können. Deswegen ist das digitale Know-how etwas ausgeprägter als in den kleinen Märkten, wie der Schweiz und Österreich. Jedoch sind auch in großen Unternehmen oftmals veraltete Strukturen vorzufinden. Das Marketing ist in „klassisch“ und „digital“ geteilt und es mangelt an einem interdisziplinären Austausch. In der Digitalabteilung gibt es häufig auch ein gesondertes Performance-Team, hier wird gerne auch Programmatic zusammen mit Affiliate eingegliedert. Spezialdisziplinen werden nicht selten komplett isoliert betrachtet und das stellt auch die größte Barriere für Unternehmen dar. Bei adverserve verfolgen wir eine Betrachtung auf Metaebene, es muss ein strategischer Ansatz implementiert werden, der alle Kanäle, online wie offline, miteinander verbindet. Der erste Schritt wäre, ganzheitlich digital zu denken, das bedeutet digitale Kanäle zusammenzuführen, denn auch Content Strategie oder Storytelling sind entscheidend für den digitalen Marketingerfolg. Generell raten wir immer davon ab, Media und Kreation zu trennen. Im Bereich Ad-Technologie ist schon sehr vieles möglich, es ist heutzutage Standard User kanalübergreifend mit Werbebotschaften zu bespielen. Zudem werden Werbebotschaften durch die intelligente Nutzung von Daten personalisiert und punktgenau ausgespielt. Für uns hat es oberste Priorität, dass der User entlang seiner Customer Journey begleitet wird und dieser auch nur Botschaften erhält, die für ihn Relevanz und Mehrwert bieten. Es scheitert also oft daran, dass die Strukturen erst geschaffen werden müssen, um Marketing ganzheitlich zu betrachten und einzusetzen. Hier wird meiner Meinung nach, das größte Potential verschenkt.
Bedeutet das, dass alle Mitarbeiter über das gleiche Know-how verfügen müssen?
Jens Feyen: Es braucht immer Generalisten, die Marketing in ihrer Vielfalt verstehen, Bereiche miteinander vernetzen und zusammenfügen können. Aber auch Spezialisten sind von großer Bedeutung: Sie sind auf ihrem Fachgebiet Experte und treiben auch neue Themen vor. In den meisten Fällen fehlt es aber an der richtigen Mischung. Viele Unternehmen setzen entweder auf das eine oder andere. Auch in der strategischen Beratung gibt es dieselben Herausforderungen. Es gibt immer noch viele generalistische Beratungsunternehmen, die digital einfach zu wenig affin sind und im Detail zu wenig Know-how mitbringen. Das andere Extrem sind Ad-Tech-Unternehmen, die sich ausschließlich auf einen Fachbereich spezialisiert haben, denen aber wiederum das allgemeine Verständnis fehlt, was in weiterer Folge zu Verständnisproblemen in Marketingabteilungen von Unternehmen führt. Wie bereits angesprochen, bedarf es beides auf operativer aber auch auf strategischer Ebene, nur dann kann man auch den maximalen Marketingerfolg erwarten.
Gibt es eigentlich auch ethische Probleme, die bezüglich des Datenschutzes im Online-Bereich auftreten können?
Jens Feyen: Hier geht es eigentlich nicht um Ethik oder Moral, sondern schlichtweg darum, die im Mai 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung in ihrer vollen Tragweite zu gewährleisten. Das hat auch in unserem Unternehmen immer oberste Priorität. Die eine oder andere Negativschlagzeile zeigt, dass beispielsweise Google oder Amazon nicht immer mit gutem Beispiel voran gehen. Böse Zungen behaupten, dass Alexa oder auch Google Home vorrangig gelauncht wurden, um noch mehr Daten zu sammeln. Auch hier wird zunehmend daran gearbeitet, die online und offline Welt miteinander zu verschmelzen, weil dadurch sehr wertvolle Datensätze generiert werden können. Ob das immer 100 Prozent DSGVO-konform ist, sei einmal dahingestellt. Man weiß also am Ende des Tages auch nicht immer im Detail was Google alles tut, es könnten beispielsweise auch E‑Mails nach Key-Wörtern durchsucht werden und mit bekannten Interessen angereichert werden. Auch hier kann ich nur betonen, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre und auch klare gesetzliche Regelungen sind, die tatsächlich für alle Marktteilnehmer gelten. Meiner Meinung nach ist es auch zwingend Aufgabe des Gesetzgebers, das Bewusstsein der User zu schärfen. Schon alleine die Differenzierung von „harten“ persönlichen Daten und eher „weichen“ Nutzungsdaten sind für den durchschnittlichen Internetnutzer und teilweise leider auch für Politiker nicht klar verständlich. User müssen sich wirklich darüber im Klaren sein, was sie wirklich preisgeben möchten und was nicht.
Welche weiteren Maßnahmen können hier – Ihrer Meinung nach – von Seiten des Gesetzgebers aber auch der User getroffen werden?
Jens Feyen: Das wichtigste Ziel der anstehenden ePrivacy Verordnung soll jedenfalls sein, datengetriebenes Marketing nicht zu verhindern, sondern zu verhindern, dass gegen das Wissen von Privatpersonen persönlichen Daten weitergegeben und eingesetzt werden. Durch ein Tracking-Cookie weiß man im Endeffekt noch nicht viel über den User. Anders ist das bei Social-Media-Plattformen wie Facebook, denn wenn man den echten Namen, Wohnort und Freundeskreis kennt und das mit dem Nutzungsverhalten verbindet, ist für viele schon die Grenze überschritten. Die Verantwortung liegt jedenfalls in der Gesamtbevölkerung. Die Gesetzgebung muss einen klaren Rahmen schaffen, um die Privatsphäre sinnvoll zu schützen, der User muss sich aktiv damit auseinandersetzen in welcher Intensität der digitale „Fußabtritt“ erfolgt und die Werbeindustrie sollte es sich immer zur Aufgabe machen, tatsächlich relevante Werbung zu gestalten, die stets den User in den Mittelpunkt rückt.
Internet World Austria berichtete in Zusammenarbeit mit dem Studiengang Marketing und Kommunikation der FH St. Pölten live von der DMEXCO. Dieses Interview wurde im Zuge der Kooperation von Shao Hsu und Julia Greslehner geführt.