Es ist einer der grundlegenden Lehrsätze im Marketing: „Product is the hero!“ Aber gilt diese Weisheit auch im Marketing-Universum des Jahres 2024 immer noch? Dazu diskutierte bei der zweitägigen Fachtagung MARKETING X in Wien unter der Leitung von Franziska Keck, Bereichsleiterin Marketing & Vertrieb beim VKI – Verein für Konsumenteninformation, eine topbesetzte Runde von Marketerinnen und Marketern. Und gleich vorweg, der zweiten Frage im Panel-Titel „Verlieren wir diesen Grundsatz zunehmend aus den Augen?” mochte niemand vollinhaltlich zustimmen. Im Gegenteil: Das Produkt ist und bleibt der Hero!
„Das Produkt ist nicht nur 15 Minuten lang der Held”, sondern steht immer und jederzeit im Mittelpunkt, betont Alexia Gasser, Head of Marketing bei Polestar Österreich. Gerade bei einem Unternehmen wie Polestar werde ein „moderner Ansatz” zum Produkt verfolgt, daher bleibt das Produkt selbst völlig im Fokus. Etwas anders sieht Lukas Merl, Deputy Director im Brand Management des Wien Tourismus Vorstand, die Situation. Denn als Tourismusverband müsse sein Unternehmen einen „speziellen Ansatz” verfolgen, da es nicht das eine Produkte gebe, sondern eine Vielzahl an Produkten und Organisationen wie z.B. Museen oder Ausstellungen, die es in der Stadt stattfinden und sie ausmachen. WienTourismus müsse mit ihnen kooperieren und kommunizieren, damit tuen sich aber auch viele Möglichkeiten auf, Geschichten zu erzählen. Merl: „Wir haben zwar auf diese Produkte keinen direkten Einfluss, können uns aber die besten Geschichten und Produkte heraussuchen.” Beispielsweise aber auch zu Ausstellung Ideen einbringen oder daraus Ideen entwickeln. Merl resümiert: „Das ist alles sehr, sehr verzahnt.”
Bernhard Schmidt, seit 2019 Director Global Marketing von woom bikes, dem österreichischen Weltmarktführer für hochqualitative Kinderfahrräder, hält ganz klar fest: „Das nahezu perfekte Produkt muss am Anfang stehen.” woom hatte über viele Jahre ein Alleinstellungsmerkmal, doch das habe sich mittlerweile geändert, umso wichtiger sei es, ein Produkt und seine gesamte Wahrnehmung durch PR, Marketing usw. zu prägen. „Die Menschen kaufen die gesamte Wahrnehmung eines Produktes.” Es sei daher fundamental, das Marketing nicht als alleinstehenden Silo zu betrachten, sondern „tief in allen Unternehmensbereichen” zu verankern.
Ganz ähnlich die Position von Georg Ribarov, Market Manager Austria bei MAM: „Bei uns kommt das Produkt definitiv an erster Stelle.” Denn der Hersteller von Baby-Produkten bewege sich unter ganz speziellen Bedingungen in einem engen Markt: Zum einen würden die Nutzer maximal drei Jahre mit dem Produkt in Verbindung stehen, zum anderen seien die KäuferInnen nicht die tatsächlichen NutzerInnen. Kundenbindung sei „natürlich schwierig”, ziele eher auf Freunde, Verwandte oder in weiterer Folge auch auf die eigenen Kinder der aktuellen KonsumentInnen ab, damit MAM an sie und damit an spätere Kunden weiterempfohlen werde. „Das Produkt muss bei uns für sich stehen und es ist absolut das Allererste, das wir uns regelmäßig anschauen.”
„Nischen-PR ist King, aber danach kommt gleich das Produkt”, betont wiederum Armand Feka, Head of Corporate Communications & Marketing der DenizBank in Österreich. „Da müssen wir on top sein, ohne Kundenbindung und ohne Markenbindung geht es nicht.” Produktbekanntheit und ‑präsenz sei wichtig, denn „wer traut in unserem Segment schon einem Unternehmen, das er nicht kennt”. Gerade im Marketing einer Bank würden Emotionen eine große Rolle spielen, denn Finanzprodukte stünden vielfach mit emotional sehr stark konnotierten Themen wie Vorsorge, Kinder, Wohnen und ähnlichen in Verbindung: Feka: „Ohne Emotionen geht es nicht und unsere Aufgabe ist, das auch darzustellen.”
Bei Polestar, meint Gasser, stünde ganz klar das Produkt im Fokus von Spots und Kampagnen, während Emotionen durch Musik oder Landschaften vermittelt werden. woom-Marketer Schmidt meint hingegen, sehr viele Menschen würden sich daran erinnern, als sie selbst zum ersten Mal Rad gefahren seien: „Das merkt man sich ein Leben lang, das ist ein Magic Moment.”
Daten zum Markt und zu Kunden haben den Fokus der Zielgruppenansprache komplett verändert, berichtet wiederum Gasser. Ribarov hingegen meint: „Wir bekommen kaum Daten, das Babygeschäft ist streng reglementiert.” MAM würde beispielsweise „händeringend” versuchen, Produkttester zu gewinnen.
Eine interessante Anekdote steuert dann noch Schmidt bei. Denn während Fahrräder in Europa eindeutig in das Segment Freizeit fallen, würden sie in den USA dem Sport zugeordnet. „Wir müssen daher im Marketing auch die Wahrnehmung der Marke geographisch anpassen.”