„Die Globalisierung geht gerade zu Ende”, meint Top-Werber Amir Kassaei. Eine neue Welt formiere sich, und in dieser neuen Welt brauchen wir auch eine neue Form des Marketing und der Kommunikationsdienstleitungen, so der im Iran geborene und in Österreich aufgewachsene Kassaei, der sich bei Wiener Agenturen seine ersten Branchensporen verdiente. Er wolle das Auditorium zwar auf eine Reise in diese neue Welt mitnehmen, habe aber keine Rezepte zu bieten, die in der Zukunft funktionieren würden. „Gibt es eine Daseinsberechtigung für den klassischen Marketer und Kommunikationsdienstleiter in dieser neuen Welt”, so der heutige Worldwide Consultent für die globale Agentur-Holding Omnicom: „Ich glaube, ja!”
Er selbst gehöre der Generation X an, die 80 bis 90 Jahre in einer Welt des Wohlstands, des Wirtschaftswachstums und des Friedens gelebt habe. Das sei allerdings die große Ausnahme und diese Ausnahme zerfalle aktuell. In dieser Welt war es beispielsweise ein Statussymbol, ein tolles Auto zu besitzen. „Ich bin mit Autowerbung in der Branche groß geworden”, so Kassaei, der weltweit Kampagnen für VW verantwortete. Seine Kinder hingegen würden kein Auto mehr brauchen, weil sie sich A) kein Auto mehr leisten können und es B) auch nicht mehr brauchen. Falls benötigt, würden diese Autos mieten, sharen oder – überhaupt darauf verzichten und mit dem Rad fahren.
Internet und KI als Beschleuniger
Die Veränderung erfolge in einem Tempo, mit dem wir kaum noch mithalten könnten. Beispielsweise sei das Internet in seiner heutigen Form gerade einmal 18 Jahre alt und jetzt geselle sich auch noch die KI dazu, die diesen Wandel zusätzlich beschleunige. Kassaei: „Aber die KI ist ein großartiger Werkzeugkasten, um unseren Job zu machen.” Allerdings nicht, so Kassaei, um Algorithmen aufzubauen, sondern um unsere Welt und Tools zu verbessern, den Menschen und das Menschliche wieder mehr in den Mittelpunkt unseres Handelns zu rücken.
„Wir leben in einer total digitalisierten Welt, das lässt sich nicht mehr zurücknehmen”, so der Autor des Buches „Vom Unsinn des Lebens” (Econ Verlag). Digitalisierung und KI werden in den nächsten 10, 15 Jahren alles auf den Kopf stellen. Doch wir hätten angesichts der Digitalisierung „den Menschen verloren”, meint die Werbeikone. „Die alte Welt bricht gerade in sich zusammen, aber die neue Welt, die kommen wird, ist noch nicht da. Aber wir spüren Dinge, die im Untergrund schon ein bisschen vorhanden sind.” Nationalismus, Deglobalisierung, das teilweise Wegfallen der freien Marktwirtschaft als Gegenpole zur bisherigen Globalisierung, möglicherweise aber auch Krieg gehörten zu diesem Veränderungsrumoren.
Auf diesen neuen Herausforderungen gelte es, mit neuen Modellen und Methoden zu reagieren. Kassaei: „Die alten Strukturen funktionieren nicht mehr so, wie sie einmal funktioniert haben.” Es würden sich viele Zukunftsfragen stellen, allerdings noch zu wenig Antworten aufdrängen. Kassaei: „Die Welt ändert sich. Die alte Welt steht kurz vor dem Zusammenbruch. Und eine neue Welt beginnt sich zu entwickeln, aber sie ist noch nicht zu erkennen. Dies wird enorme Auswirkungen auf alle Aspekte und Ebenen der menschlichen Zivilisation haben. Lasst uns alles neu denken, die Dinge, die wir in der Vergangenheit vermasselt haben, neu machen.” Er sei optimistische, dass es Kommunikationsdienstleistungen immer geben werde, meint der frühere globale Kreativchef von DDB Worldwide, wenn es gelinge, „Relevanz zu schaffen, diese Verbindung zu den Menschen wieder aufzubauen”.
In der Zukunft würden allerdings Werbeagenturen in der heutigen Form nicht mehr benötigt werden, vermutet Kassaei, denn deren Jobs werden Asset Factories erledigen.