2020 wird als jenes Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Digitalisierung in Unternehmen und Institutionen aufgrund der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Restriktionen grosso modo einen großen Sprung gemacht hat. Beobachten Sie auch bei Ihren Kunden, dass die vielbeschworene Digitale Transformation durch die Pandemie beschleunigt wurde?
Viktor Zemann: Das Jahr 2020 war für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Es war ein Jahr wie kein anderes. Neben einer weltweiten Pandemie mussten wir unter anderem auch Anschläge, politische Unruhen, eine sich deutlich abkühlende Wirtschaft und unberechenbare Wetterphänomene erleben. Die Ereignisse haben die digitale Transformation notwendigerweise deutlich beschleunigt. Die Digitalisierung hat nun wirklich alle Alters- und Gesellschaftssegmente erreicht. Wie wir bei unserem eigenen Kundenportfolio bei ACOS Digital sehen, ist die Fähigkeit, angesichts volatiler, neuer Rahmenbedingungen möglichst flexibel und rasch reagieren zu können, ein entscheidender Erfolgsfaktor. Zudem wurden jene belohnt, die bereits vor Krisenzeiten Möglichkeiten der Digitalisierung in ihrem jeweiligen Geschäftsfeld nutzten, in digitale Prozesse investierten oder von Haus aus digitale Geschäftsmodelle verfolgen. Für unsere Bestandskunden waren deshalb kaum große Anstrengungen notwendig, um sich auf die neue Situation einzustellen. Vielmehr ging es darum, die bestehenden Abläufe zu verbessern, neue Möglichkeiten zu erkennen und darum, zu evaluieren, welche Strategien und Maßnahmen den höchsten ROI bringen.
Welche Teildisziplinen im Digital Marketing (SEO, Performance, Social, Display, Video, Programmatic,…) haben 2020 aus Ihrer Sicht exponentiell zugelegt oder sind wichtiger geworden und welchen Teildisziplinen haben an Relevanz eingebüßt?
Zemann: Disziplinen, die tendenziell in kurz- und mittelfristige Unternehmensziele einzahlen, wurden forciert. Budgets die eigentlich in Messen oder Out-of-Home geflossen wären, wurden direkt in absatzorientierte und datengetriebene digitale Maßnahmen geleitet. Daher sind bei einem Großteil unserer Kunden die digitalen Werbeausgaben auf Google, Amazon, LinkedIn, Facebook oder Investitionen in CRM und UX gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen.
Welche Trends sehen Sie auf das Digital Marketing in den kommenden Monaten zukommen?
Zemann: Nachdem wir die meiste Zeit des Jahres 2020 damit verbracht haben, Kunden in Branchen wie Handel, Software, Fertigung, B2B-Dienstleistungen und Tourismus bei der Bewältigung dieser turbulenten Zeiten zu unterstützen, habe ich ein paar Ideen, in welche Richtung sich die Dinge in einigen Bereichen des digitalen Marketings 2021 entwickeln werden. Es gibt Technologien und Trends, die wir berücksichtigen müssen und nutzen können. Im Großen und Ganzen sind diese nicht unbedingt neu, aber sie entwickeln sich in beachtenswerter Weise weiter.
Folgende fünf Punkte sind für mich am wichtigsten:
- Effiziente datengetriebene Kampagnen auf Google, Amazon, LinkedIn, Facebook etc. werden noch wichtiger werden. Wie diese durchgeführt werden, wird jedoch ein wenig anders aussehen. Stichworte: Data Privacy, Data Quality, Automation.
- CRO-Spezialisten (Conversion Rate Optimization) arbeiten eng mit Experten aus den Bereichen Data und Design zusammen, um Customer Journeys zu entwickeln und zu verfeinern. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die User Experience und letztlich auf den Geschäftserfolg.
- Sales-Zyklen werden immer vielschichtiger und vernetzter, die Anzahl der Kanäle nimmt weiter zu, daher werden nun auch immer mehr B2B-Unternehmen Wege finden, einen Omnichannel-Ansatz zu implementieren.
- Um Suchmaschinen-Rankings im Jahr 2021 zu erhalten und zu steigern, wird UX (User Experience) ähnlich wichtig sein wie On-/Off-Page SEO.
- Es wird Zeit, die vielen isolierten Marketing-Tools zu einem einheitlichen System für Kunden-Insights und ‑Engagement zu integrieren. So kann auch künftig die Beziehung zu Kunden gefördert, ihre Bedürfnisse erkannt und kontinuierlich erfüllt werden.
Wo im Digital Marketing orten Sie Nachholbedarf bei Österreichs Unternehmen und Institutionen?
Zemann: Bei ACOS Digital gilt: Keine Maßnahmen ohne Strategie. Die (Digital) Marketing Strategie sollte das Herzstück der Aktivitäten bilden. Diese sollte wiederum von der Unternehmensstrategie abgeleitet sein. Ich sehe häufig die umgekehrte Herangehensweise. Wenn Fachexperten die Taktiken ohne Strategie ausführen, funktioniert dies auch für einige Zeit ganz gut. Doch meist geht dann nach paar Monaten die Luft aus, kaum noch neue Erfolge, Wachstum und Perspektiven. Ein klassischer Fall von „da wurde von Fachexperten – ohne fundiertem Marketing- und Vertriebs-Knowhow – optimiert, bis alle Maßnahmen, isoliert betrachtet, ausgereizt sind.“
Welche heimischen Digital-Marketing-Kampagnen aus den vergangenen Monaten sind aus Ihrer Sicht Vorzeigeprojekte?
Zemann: Nicht rein digital, aber das ist auch gut so: Haubis Verwöhnkörberl, Prefa, TietoEVRY SAP-Initiative.
Und welche internationalen Digital-Marketing-Kampagnen sind Ihnen in den vergangenen Monaten aufgefallen?
Zemann: Auch nicht rein digital: von BOSCH #LikeABosch.
Welchen schnell umsetzbaren Tipp in Sachen Digital Marketing haben Sie für Marketingverantwortliche in Unternehmen und Institutionen parat?
Zemann: Aktuell steht die Optimierung der Kernbereiche im Fokus. Achten Sie aber darauf, dass neue Ideen und innovative Vorhaben dem operativen Alltag nicht zum Opfer fallen oder nicht mit dem notwendigen Fokus vorangetrieben werden. Competitive Intelligence zu Jahresanfang kann auch nicht schaden.
Dieses Interview ist Teil einer Interviewserie mit Vortragenden des berufsbegleitenden und praxisnahen Masterlehrgang Digital Marketing der Fachhochschule St. Pölten unter der Leitung von Prof. (FH) Mag. Harald Rametsteiner in Kooperation mit der Internet World Austria Redaktion.