Claudia Reiterer diskutiert bei der TV-Sendung „Im Zentrum“ Sonntag für Sonntag mit bis zu sechs Gästen. Allein das Ritual der Gästevorstellung dauert dabei schon gefühlt eine Viertelstunde. In vielen Fällen handelt es sich bei dieser Sechser-Runde um vier bis fünf Abgesandte der im Parlament vertretenen Parteien sowie einem, eine Nicht-PolitikerIn. Denn der ORF ist per Gesetz zur Objektivität verpflichtet und achtet bei der Gästeauswahl penibel darauf, diesem Objektivitätsgebot durch seine Einladungspolitik auch nachzukommen. Allein weil es alle Partei-Interessen abzudecken gilt, fallen diese Talk-Runden oft so, zu üppig aus.
Doch der ORF, eine mögliches Nachfolgeformat für „Im Zentrum“ muss endlich auch Mut zeigen und subjektiver werden. Nur dann hat eine Polit-Talk noch seine Berechtigung. Außerdem kann der ORF auch mit einer solch gelebten Subjektivität seine Objektivität beweisen. Das gilt nicht nur für einen neuen oder reformierten Polit-Talk.
Der ORF legt seinen Auftrag zur Objektivität in den meisten Fällen relativ eng aus und setzt damit schon bei jeder einzelnen Sendung – von den Nachrichten über Magazine bis zur Talkshow an. Das ist lähmend. Vermutlich für die Redaktionen, die sich um die Einladungen kümmern müssen. In jedem Fall aber für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Woche für Woche den Statements der Parteien-VertreterInnen, die vielfach auch noch in die Rolle von parteiisch gefärbten Aufsage-Puppen schlüpfen, zu lauschen, hat wenig Reiz.
Exkurs: Und würde noch mehr an Attraktivität verlieren, sollten nach der Nationalratswahl mehr Parteien als bisher in den Nationalrat und damit in die ORF-Talkrunden einziehen. Der ORF wäre dann ohnedies dazu gezwungen, seine Gästestrategie zu überdenken und die Talk-Runden gesundzuschrumpfen.
Anders als der ORF halten es die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland. Sie beziehen die Vorgabe zur Objektivität nicht auf eine einzelne Sendung, sondern auf ihr Gesamtangebot, zielen bei der inhaltlichen Ausgewogenheit auf die gesamte Sendefläche. Das macht sie nicht nur bei ihrer Einladungspolitik flexibler, sondern höchstwahrscheinlich auch thematisch.
Ein neues Talk-Format im ORF muss ohnedies nicht nur mehr Mut zur Subjektivität beweisen, sondern sich auch thematischen öffnen. Eine politische Talk-Show soll generell ein Themenspektrum abdecken, das von gesellschaftlichen Entwicklungen über Soziales und Kultur bis hin zu Religion und anderen reicht. Zumindest dann, wenn sich der ORF nicht zu einem zweiten Talk-Format, das – ähnlich wie einst der „Club 2“ – all diese Segmente thematisiert, durchringen kann. Ein solches Format fehlt derzeit. Kommt es, dürfen Politikerinnen und Politiker beim „Im Zentrum“-Nachfolger gerne unter sich bleiben. Wenn auch in personell etwas abgespeckten Runden.
Mehr Subjektivität würde auch die Einbindung der Zuseherinnen und Zuseher guttun. Denn bei „Im Zentrum“ wird SeherInnen-Beteiligung derzeit zwar suggeriert, doch dass die – vermutlich online gestellten – Fragen und Themen des Publikums von Moderations-Karten abgelesen werden, hat nicht einmal den Charme des Anachronistischen, sondern ist schlichtweg verstaubt.
Dem ORF sei daher bei der Entwicklung des neuen Formats dringend mehr Subjektivität angeraten. Das tut dem Sender, den Quoten, vermutlich auch der Politik, jedenfalls aber den Zuschauerinnen und Zuschauern gut. Dem Objektivitätsgebot des Senders lässt sich auch mit punktueller Subjektivität ganz gut gerecht werden.