Herr Katzlberger, 2020 wird als jenes Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Digitalisierung in Unternehmen und Institutionen aufgrund der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Restriktionen grosso modo einen großen Sprung gemacht hat. Beobachten Sie auch bei Ihren Kunden, dass die vielbeschworene Digitale Transformation durch die Pandemie beschleunigt wurde?
Michael Katzlberger: Die Digitale Transformation haben unseren Bestandskunden schon lange vor der Pandemie vollzogen. Heuer ging es eher darum die angebotenen, digitalen Dienstleistungen zu optimieren. 2020 sahen wir aber eine überraschend starke Zunahme an Website-Anfragen oder Sonderlösungen, wie zum Beispiel Augmented Reality, digitaler Messestand und KI-Dienstleistungen, sowie digitaler Beratung im Allgemeinen.
Welche Teildisziplinen im Digital Marketing (SEO, Performance, Social, Display, Video, Programmatic, …) haben 2020 aus Ihrer Sicht exponentiell zugelegt oder sind wichtiger geworden und welchen Teildisziplinen haben an Relevanz eingebüßt?
Katzlberger: Während des ersten Lockdowns gab es kurzfristig einen Stillstand, einen Schockmoment, in dem digitale Werbekampagnen gestoppt oder verschoben wurden. Danach ging es aber linear weiter, nicht exponentiell. Ich denke, dass alle digitalen Teildisziplinen leicht zugelegt haben und keine an Relevanz verloren hat. Die großen Krisengewinner sind aber nicht die Dienstleister, sondern die Tech-Giganten, mit deren Tools wir täglich arbeiten. Da wird digitalisiert, was digitalisierbar ist, die Old Economy wird dank Corona weiter aufgemischt.
Welche Trends sehen Sie auf das Digital Marketing in den kommenden Monaten zukommen?
Katzlberger: Klassische, nicht digitale Unternehmen, die von hohen Kundenfrequenzen abhängig sind, werden ihre Investitions- und Strategiepläne für die nächsten zwei Jahre vermutlich in den Papierkorb werfen und ihr Geschäftsmodell neu überdenken müssen. Das könnt eine große Chance für alle Digitalen Berater und Marketingverantwortlichen sein, die aus der Corona-Krise Vorteile ziehen können. Künstliche Intelligenz bzw. Machine Learning wird einen immer höheren Stellenwert bekommen und als Universaltechnologie die Basis für alle künftigen Anwendungen im digitalen Marketing sein. Ein Beispiel wäre die immer intelligentere Personalisierung, von der alle profitieren. Der Anbieter einer Ware oder Dienstleistung, weil er besser planen kann und Mediabudget spart. Und der Kunde, weil er nicht durch Werbung genervt wird, die er gar nicht sehen will. Aufgrund des großen Nachholbedarfs wird möglicherweise die Bewerbung von „österreichischen“ Webshops 2021 in den Mittelpunkt rücken. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die klassischen Medien zunehmend digitale Innovationen übernehmen und angestaubte Formate überarbeiten. Hier können KI und Co frischen Schwung in TV und Print bringen, indem man beispielsweise mehr auf Augmented Reality, Mixed Reality, Drohnen oder KI-gestützte Moderation setzt, wie es in den USA, UK und Asien ja schon der Fall ist.
Wo im Digital Marketing orten Sie Nachholbedarf bei Österreichs Unternehmen und Institutionen?
Katzlberger: Die Pandemie hat bei vielen Unternehmen und Institutionen wie eine Bombe eingeschlagen. Corona sorgt für einen Strukturwandel. Alle, die nicht rechtzeitig auf die Digitalisierung ihrer Unternehmensprozesse gesetzt haben, sind die großen Krisen-Verlierer. Warnungen und Schüsse vor den Bug gab es in den letzten Jahren ja genug. Wer nicht gehört hat, der fühlt jetzt. Auch die staatlichen Institutionen sind überfordert. Und auch, wenn man sie mit umfangreichen PR-Strategien kaschieren möchte, zeigen sich gerade jetzt die großen Schwächen des Systems: die Lücken im Breitbandausbau, Modernisierung des Bildungswesens (digitale Schule/ Fachkräftemangel), der große Nachholbedarf im E‑Commerce usw. Hier sehe ich den größten Hebel.
Welche heimischen Digital-Marketing-Kampagnen aus den vergangenen Monaten sind aus Ihrer Sicht Vorzeigeprojekte?
Katzlberger: Das sind definitiv alle vom Creativ Club Austria (CCA) und dem IAB ausgezeichneten, top-platzierten Kampagnen. Glücklicherweise sind da ja auch einige von TUNNEL23 darunter.
Und welche internationalen Digital-Marketing-Kampagnen sind Ihnen in den vergangenen Monaten aufgefallen?
Katzlberger: Die humorvolle Corona-Präventionskampagne der deutschen Bundesregierung ist mir dieses Jahr besonders aufgefallen, auch wenn sie für gemischte Reaktionen gesorgt hat. Sie ist an junge Menschen gerichtet und fordert diese in YouTube Spots, die im Dokumentarstil gedreht wurden, auf, “nichts” zu tun. Humor schlägt Angst. So sollte es hierzulande auch sein.
Welchen schnell umsetzbaren Tipp in Sachen Digital Marketing haben Sie für Marketingverantwortliche in Unternehmen und Institutionen parat?
Katzlberger: Die Corona-Krise wird das Konsumverhalten der Bevölkerung nachhaltig verändern. Mein Tipp wäre der, mit Hilfe von KI- Software in den Sozialen Medien die Stimmung in der Bevölkerung abzufragen. Marketingverantwortliche können mittels Social-Listening den “digitalen Wert” ihrer Marke bestimmen und Produkt- und Konkurrenzanalysen durchführen. Auch Institutionen können daraus wertvolle Schlüsse ziehen, wie zum Beispiel die Bereitschaft der Bevölkerung, an Corona-Massentest teilzunehmen oder sich impfen zu lassen.
Dieses Interview ist Teil einer Interviewserie mit Vortragenden des berufsbegleitenden und praxisnahen Masterlehrgang Digital Marketing der Fachhochschule St. Pölten unter der Leitung von Prof. (FH) Mag. Harald Rametsteiner in Kooperation mit der Internet World Austria Redaktion.