Gastkommentar: KI und die digitale Transformation – Österreichs Chance, den Anschluss nicht zu verlieren

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Stephan Hebenstreit
Im Gastkommentar schreibt Stephan Hebenstreit, Geschäftsführer von Yokoy Österreich, welche Auswirkungen der EU AI Act auf Unternehmen in Österreich hat und wie Europa mit Initiativen wie OpenEuroLLM digitale Souveränität schaffen will.

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In einer zunehmend technologiegetriebenen Welt steht der Wirtschaftsstandort Österreich vor einem strategischen Wendepunkt. Während führende Volkswirtschaften wie die USA, China oder auch die Schweiz in rasantem Tempo digitale Infrastrukturen und KI-basierte Anwendungen ausbauen, bleibt Österreich hinter seinen Möglichkeiten zurück. Gleichzeitig bieten neue gesetzliche Rahmenbedingungen – wie der EU AI Act – und europäische Initiativen zur KI-Förderung Anlass, Chancen und Herausforderungen neu zu bewerten.

Die digitale Transformation hat sich in den vergangenen Jahren zu einem entscheidenden Faktor für Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit entwickelt. KI-Technologien, insbesondere generative Modelle, verändern Prozesse in nahezu allen Wirtschaftssektoren – von der industriellen Fertigung über die Finanzbranche bis hin zur öffentlichen Verwaltung.

Während global tätige Unternehmen gezielt auf Automatisierung und datenbasierte Entscheidungen setzen, zeigt sich Österreich in zentralen Bereichen nach wie vor zurückhaltend. Studien zur Wettbewerbsfähigkeit digitaler Märkte verorten das Land im EU-Vergleich nur im Mittelfeld. Die Ursachen dafür sind vielfältig: eine komplexe regulatorische Landschaft, historisch gewachsene Bürokratiestrukturen, ein stark fragmentierter Arbeitsmarkt und zurückhaltende Investitionen in digitale Schlüsseltechnologien.

Der EU AI Act: Regulierung als Wegweiser

Mit 2. Februar 2025 ist der EU AI Act in Kraft getreten – die erste umfassende Gesetzgebung zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz weltweit. Unternehmen, die KI entwickeln oder nutzen, sind nun verpflichtet, ihre Systeme risikobasiert zu klassifizieren und entsprechende Maßnahmen zu setzen. Ziel ist ein ausgewogener Rechtsrahmen, der Innovation fördert und gleichzeitig ethische Standards sowie Verbraucherschutz gewährleistet.

Für den österreichischen Markt bedeutet dies: Neue Compliance-Anforderungen treffen auf ein wirtschaftliches Umfeld, das in vielen Bereichen noch nicht ausreichend vorbereitet ist. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen stehen vor der Herausforderung, regulatorische Anforderungen mit begrenzten Ressourcen umzusetzen.

OpenEuroLLM und nordische Strategien

Gleichzeitig formiert sich in Europa eine eigene technologische Antwort auf die Dominanz internationaler Tech-Konzerne. Mit dem Projekt „OpenEuroLLM“ entsteht derzeit ein mehrsprachiges europäisches Sprachmodell, getragen von Universitäten, Start-ups und Supercomputing-Zentren. Die Europäische Kommission fördert die Initiative mit bis zu 54 Millionen Euro – ein Schritt in Richtung digitaler Souveränität.

Parallel dazu zeigen Länder wie Schweden, Dänemark und Norwegen, wie Digitalisierung konsequent als Standortfaktor genutzt werden kann. Sie kombinieren zielgerichtete Investitionen mit klaren politischen Strategien, digitaler Bildung und einer innovationsfreundlichen Regulierung. Der Erfolg dieser Länder liegt nicht in ihrer Größe, sondern in der kohärenten Ausrichtung aller relevanten Akteure.

Standort Österreich = klein, komplex – aber mit Potenzial

Österreichs Wirtschaft ist geprägt durch ein starkes KMU-Segment, hohe Lebensqualität und internationale Verflechtung. Gleichzeitig erschweren strukturelle Besonderheiten – etwa mehr als 800 verschiedene Kollektivverträge – die Standardisierung von Prozessen und die

Einführung digitaler Lösungen. Dies betrifft auch einfache, alltägliche Themen wie Spesenabrechnung, Reisekosten oder Lohnverrechnung. Die Komplexität des Systems schreckt internationale Anbieter ab und führt dazu, dass selbst globale Technologiekonzerne Österreichs Markt unterpriorisieren.

Die Folge ist eine schleichende Entkopplung vom internationalen Innovationstempo. Unternehmen verharren in ineffizienten Abläufen, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt, während regulatorischer Druck und Fachkräftemangel weiter steigen.

Digitalisierung: Die Antwort auf demografischen Wandel und Fachkräftemangel

Gerade der gezielte Einsatz von KI kann einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung von Unternehmen leisten – sei es durch Automatisierung repetitiver Tätigkeiten, datenbasierte Entscheidungsunterstützung oder Effizienzsteigerung in der Verwaltung.

Wichtig ist dabei ein ausgewogenes Zusammenspiel von Technologie und Qualifikation. Der Mensch bleibt weiterhin zentral für kreative, soziale und strategische Aufgaben – doch ohne digitale Grundkompetenzen wird es zunehmend schwierig, die Potenziale neuer Technologien zu nutzen.

Handlungsfelder für Politik und Wirtschaft

Um die digitale Wettbewerbsfähigkeit Österreichs langfristig zu sichern, braucht es eine Reihe von strategisch abgestimmten Maßnahmen. Dazu zählen etwa die Vereinfachung rechtlicher Rahmenbedingungen, insbesondere im Arbeits- und Steuerrecht, die systematische Verankerung digitaler Kompetenzen in schulischer, universitärer und beruflicher Ausbildung sowie eine technologieoffene Innovationspolitik, die sich an internationalen Best Practices orientiert. Ebenso zentral sind gezielte Investitionen in Forschung und Entwicklung, insbesondere im Bereich KI, sowie eine stärkere Vernetzung zwischen Wissenschaft, Start-ups und etablierten Unternehmen.

Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, ob es gelingt, Österreich als digital wettbewerbsfähigen Standort zu positionieren. Künstliche Intelligenz ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Bewältigung zentraler wirtschaftlicher Herausforderungen – vom Fachkräftemangel über Effizienzsteigerung bis hin zu neuen Geschäftsmodellen.

Der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist jetzt. Österreich verfügt über die Ressourcen, das Know-how und die internationale Vernetzung, um die digitale Transformation aktiv zu gestalten. Entscheidend wird sein, bestehende Hürden zu adressieren – und neue Chancen konsequent zu nutzen.

Stephan Hebenstreit ist Geschäftsführer von Yokoy Österreich, ein Schweizer Start-up. Das Unternehmen wurde Anfang des Jahres vom spanischen SaaS-Unternehmen TravelPerk übernommen.

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