Frau Heiner, 2020 wird als jenes Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Digitalisierung in Unternehmen und Institutionen aufgrund der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Restriktionen grosso modo einen großen Sprung gemacht hat. Beobachten Sie auch bei Ihren Kunden, dass die vielbeschworene Digitale Transformation durch die Pandemie beschleunigt wurde?
Alina Heiner: Der Großteil meiner Kunden hat bereits viele Prozesse digitalisiert, die Herausforderung war es eher, von zu Hause aus zu arbeiten. Ist man im Büro, kann man notfalls schnell Kollegen fragen, das Internet funktioniert besser als zu Hause, Drucker und Co stehen am Schreibtisch. Das fehlt zu Hause – da hat es gebraucht, bis ein Schreibtisch und ein Arbeitsplatz eingerichtet war und der Alltag auch vom Wohnzimmer aus funktioniert hat. Gerade kleinere Unternehmen haben da sehr flexibel und rasch drauf reagiert, denn in meinem persönlichen Umfeld waren es eher größere Unternehmen, wo es nicht so einfach war, sich den Bildschirm oder den Schreibtischsessel mit nach Hause zu nehmen. Grundsätzlich denke ich aber, dass die Notwendigkeit von Home Office und Digitalisierung in vielen Unternehmen ein Startschuss war, und die Erkenntnis gebracht hat, dass viele Meetings auch Mails und/oder Telefonate hätten sein können, Home Office nicht automatisch „Netflix und Chill“ heißt und es doch praktisch ist, von überall auf Server und Cloud zugreifen zu können.
Welche Teildisziplinen im Digital Marketing (SEO, Performance, Social, Display, Video, Programmatic, …) haben 2020 aus Ihrer Sicht exponentiell zugelegt oder sind wichtiger geworden und welchen Teildisziplinen haben an Relevanz eingebüßt?
Heiner: Was sich aus meiner Sicht am meisten geändert hat, ist das Bewusstsein, dass es nicht mehr ohne Online-Auftritt geht. Ende 2019 hätte niemand gedacht, dass es möglich ist, dass der Handel und die Gastronomie über Wochen, teilweise Monate geschlossen haben und (Lauf-) Kundschaft somit ausbleibt. Ein Online Shop war auch 2019 kein „nice-to-have“ mehr, das haben aber viele Unternehmen noch nicht erkannt. 2020 blieb ihnen nicht viel anderes übrig, als sich um den eigenen Online-Auftritt zu kümmern. Einige dieser Unternehmen werden noch etwas Zeit brauchen, SEO und Performance ernsthaft als Muss im Marketingmix anzuerkennen, wenn sie aber den Erfolg sehen, werden sie hoffentlich die Wichtigkeit erkennen. Was ich außerdem gemerkt habe ist, dass es mehr „gemenschelt“ hat. Durch die vielen Videokonferenzen hat man Personen in die eigenen vier Wände gelassen, die sonst wahrscheinlich nicht so schnell dorthin gekommen wären. Da rennt dann mal eine Katze durchs Bild, der Hund bellt oder die Wäsche steht noch herum. Das war einer der schönen und verbindenden Aspekte dieser Pandemie.
Welche Trends sehen Sie auf das Digital Marketing in den kommenden Monaten zukommen?
Heiner: Ich glaube, dass interaktiver Content an Relevanz zunehmen wird. Das ist grundsätzlich kein neuer Trend, aber Marken haben dieses Jahr gemerkt, wie wichtig es ist, eine Bindung zur Zielgruppe aufzubauen. Durch interaktiven Content können Verbindungen aufgebaut werden – eine treue, wiederkehrende Community hat 2020 Wunder bewirkt.
Wo im Digital Marketing orten Sie Nachholbedarf bei Österreichs Unternehmen und Institutionen?
Heiner: Wir in Österreich haben selten den Ruf, Vorreiter zu sein. Das kann aber auch von Vorteil sein. Es gilt nicht immer, das Rad neu zu erfinden – man kann sich auch an internationalen Unternehmen oder Kampagne ein Vorbild nehmen und sich inspirieren lassen. Nina Mohimi, Markenstrategie-Expertin und Co-Founderin von The Coolinary Society, einer Digital-Agentur in Wien, hat einmal gesagt, „in Österreich lieben wir es, Zweiter zu sein“. Wir lassen alle anderen probieren und trauen uns erst dann, wenn schon etwas erfolgreich umgesetzt wurde. Das kann aber auch nach hinten los gehen, denn kommt jemand, der Dienstleistungen schneller und besser anbietet, fehlt oft die Zeit, diesen Vorsprung wieder aufzuholen. Ich glaube, ein bisschen weniger Grant „auf die anderen“ und ein bisschen mehr Mut würde uns guttun.
Welche heimischen Digital-Marketing-Kampagnen aus den vergangenen Monaten sind aus Ihrer Sicht Vorzeigeprojekte?
Heiner: Es ist zwar nicht rein digital, aber die Zalando „We‘ll hug again“-Kampagne hat mir sehr gut gefallen. Die Message ist einfach schön. Bei den Erste-Bank-Weihnachtsspots bleibt auch nie ein Auge trocken.
Und welche internationalen Digital-Marketing-Kampagnen sind Ihnen in den vergangenen Monaten aufgefallen?
Heiner: Ich bin und bleibe Fan der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Mittlerweile sind sie Kult – und das als Verkehrsbetrieb zu schaffen, ist für mich eine großartige Leistung.
Welchen schnell umsetzbaren Tipp in Sachen Digital Marketing haben Sie für Marketingverantwortliche in Unternehmen und Institutionen parat?
Heiner: Denkt eure Zielgruppen und Produkte neu. Das Jahr hat gezeigt, dass wir uns nicht mehr drauf ausruhen können, dass alles so funktioniert wie es immer schon funktioniert hat. Hotels haben ihre Zimmer als Workstation vermietet, Frisöre haben Stammkunden die vorgemischte Farbe nach Hause gebracht, Sommeliers haben Online-Verkostungen gemacht. „Never change a winning team“ stimmt eben doch nicht immer.
Dieses Interview ist Teil einer Interviewserie mit Vortragenden des berufsbegleitenden und praxisnahen Masterlehrgang Digital Marketing der Fachhochschule St. Pölten unter der Leitung von Prof. (FH) Mag. Harald Rametsteiner in Kooperation mit der Internet World Austria Redaktion.