Gar nicht gut gelaufen ist bei den Medientagen München der Einstieg am Eröffnungspodium von Medienschwergewicht Wolfram Weimar, der seit 2025 Staatsminister für Medien und Kultur ist. Zuerst muss er pausieren, weil sein Mikro kracht und der digitale Konnex wegbricht, gerade als er die großen Techkonzerne kritisiert. Dann will der ehemalige Chefredakteur von „Die Welt”, „Focus”, „Berliner Morgenpost”, Gründer von „Cicero” und Verleger die nicht nur von ihm gewünschte Digitalabgabe (die in Österreich seit 2020 Realität ist) pushen, doch der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, der nach ihm spricht, ignorierte das.
Kein Rezept gegen Fake News und die Macht der sozialen Medien
Während Söder eine Verweigerung der sozialen Medien als gefährlich einstuft, sprechen sich Hausherr des House of Communication und Serviceplan-CEO Florian Haller, Komiker und Redner Oliver Kalkofe wie auch Schriftstellerin Jagoda Marinic für starke Vertrauensmedien aus – gegen die Polarisierung und Cancel Culture auf Social Media. Wer das wie machen kann, bleibt nebulös. Söder ergänzt: „Deutschland, ja, Europa muss in Sachen Technologie und Forschung viel schneller laufen, anstelle die Schnellen einzubremsen. Moral bringt nichts, ich bin für Freiheit statt Regulatorik.“ Weimar hält dagegen: „Die Tech-Monopole sind geistige Vampire“, so Weimar, „allein Google verdient während meiner 8‑minütigen Rede sechs Millionen“. Wie zu regulieren sei, ob KI oder Social Media, bleibt bei allem Engagement auf vielen Podien fraglich. Europas Politik erscheint ohne eigene starke Technologien recht machtlos.
Gefahr und Segen
K(ann)-I(ch)-nimmer-hören Thematik oder KI(ng) of Medientage? Klar ist: Ohne geht’s nicht. KI ist Thema auf allen Podien und im Diskurs am Mittagstisch. Die Diskussion changiert zwischen Freude über Arbeitserleichterung und Effizienz und Angstschweiß, denn „sie hilft nur den Techkonzernen“ und „stiehlt Inhalte und den Traffic und damit das Geld“. Stichwort KI-Integration in der Google-Suche: „Auf die Quelle klickt keiner mehr“, beklagte nicht nur RTL-Boss Stephan Schmitter, „unsere Abrufzahlen werden täglich kleiner und wir verlieren die Bindung zu den Menschen.“ Dazu kommt Verzweiflung: „KI entwickelt ein Eigenleben, wo bleibt unser Selbsterhaltungstrieb“.
TU-Professor Ulrich Walter sagte schlicht: „KI ist ein Kind, das extrem gut reden kann, aber halluziniert, weil es keine Lebenserfahrung hat – da kommt auch mal Mist raus. Also immer skeptisch bleiben.“ „SZ”-Geschäftsführer Christian Wegener will Transparenz und glaubt zugleich an das Lagerfeuer und eine Renaissance menschlicher Inhalte – sein Wort in KI-Gottes Ohr. Zu wenig präsent war KI in Form von hands-on-Workshops, beklagten manche Teilnehmer:innen.
Die Youngstars
Leider geil … die rotzigen, superschnellen, pink behütet und Haar-gefärbten Power-Mädels und Jungs auf und neben der mit Abstand kreativsten, lässigsten und grünsten Bühne der Medientage München von Media for You. Die Initiative wird gefördert von der Bayrischen Staatskanzlei und Landeszentrale für neue Medien. Echt eine Top-Sache. Da sind Influencer:innen, Creator:innen, Gamer:innen und Altstars ganz nahbar und kurzweilig interviewt auf der Bühne. Es gibt Workshops, Mitmachstationen und Inspiration. Dazu fluten hinter der Bühne @julius_philipp_peter und @talkwithgerlinde den Insta-Account mit Streams, Videos und Interviews rund um das bunte Treiben. Auch die Sprache verlangt mir was ab, I shit you not! Da war von spiken und boosts, also schnell wachsen auf Social Media, dem Gegenteil, also droppen, die Rede. Alle hustlen geschäftig dahin, sind crazyyyy und nutzen UGC (user-generated content). Fix nicht relevant: Work-Life-Balance. Das Motto für Erfolg auf sozialen Medien: mach es gleich, ständig und investiere nichts. Kamerastativ Bücherstapel, Handy raus und los geht’s – abschauen von anderen wird dezidiert empfohlen: „Dein Gesicht ist eh anders, das reicht.“
Shortform oder Longform?
Content Creation reicht von Shorties auf TikTok und Twitch, der Quatscher- und Gamerplattform, zu shorten Reels auf Insta und allem an Videoformaten plus Podcastvideos auf YouTube. Beides geht ins Extreme, Sekunden oder Stunden, dasselbe gilt natürlich auch für Podcasts. Und bitte mach alles überall ein bisserl anders. Thematisch schwankte man zwischen Horrorhype, True Crime und Humor. Dass der Creatorjob auch einsam macht, wurde offen diskutiert. Mit dem wilden Galopp versuchten dann die Summits und Gesprächsrunden auf den anderen Stages mitzuhalten.
Die Zukunft sind … KI-Agenten
Beim Lunch präsentiert Andreas Liebl einer ausgewählten Journalistengruppe sein Unternehmen Applied AI. Es bietet angewandte KI mit Agenten fürs Prozessmanagement. Dranbleiben, sagt er, damit Europa nicht den Anschluss verliert an China und USA, wo gepimpte Automodelle in einer Woche vom Band laufen anstelle wie in Deutschland üblich erst nach Monaten. Der Channelmanager des Hessischen Rundfunks, der neben mir sitzt, und 150 Menschen dirigiert, ist begeistert. Das brauche es, Unterstützung bei Prozessen, ChatGPT sei eh schon Standard. Als er dann hört, dass je Prozess mehrere Agenten notwendig sind, da KI-„Eva“ allein noch nicht absolut verlässlich sei, ebbt die Begeisterung ein wenig ab.
Creators are the new Hollywood
„Creators are the new Hollywood“, sagt der amerikanische selbsternannte „Kartograph der Medienlandschaft“ und Filmproduzent Evan Shapiro. Diese sind nicht nur Brandfaces, Influencer und konzipieren Podcasts, sondern inzwischen auch eigene Social-Media-Filmserien und wie schön: sie retten die Medienwelt. Personal Branding ist das Ding. Das gilt inzwischen nicht nur auf sozialen Medien, sondern auch für Journalisten, Anchors, Reporter. Paul Ronzheimer, stellvertretender Chefredakteur von „Bild”, der als Marke in Print, TV und mit seinem Podcast reüssiert ist ein Beispiel. Sophie Ströbitzer, Gesicht des TikTok-Kanals der Zeit im Bild, ZDF-Star Jan Böhmermann, Zeit Verbrechen-Macherin Sabine Rückert gehen voraus und in soziale Medien oder in Podcasts. Auch Innovatoren wie Sebastian Esser, Gründer des Onlinemediums Krautreporter und des neuen Ökosystems Steady für alle Formen an Publikation findet: „Egal, ob wir Journalisten oder Creator heißen, Schluss mit den Eitelkeiten“.
Wer verliert
Die etablierten Medien, zuletzt sind allein in Deutschland 40 lokale Medien vom Markt verschwunden. Viele kämpfen weiter, aber eine Konsolidierung ist nicht aufzuhalten, „und es wird schneller gehen als uns lieb ist“. Manche wünschen sich eine schnelle Zusammenlegung der Daten für den Verkauf von Werbung, „es ist verrückt, Netflix und Amazon entscheiden sowas über Nacht“. Geld aus Werbung und Aboverkauf fehlt überall und das Publikum wandert ins Netz ab. Dazu leiden die Deutschen kollektiv unter dem Verkauf der ProSieben-Gruppe an das Haus Berlusconi. Doch man kämpft weiter gegen Tech-Mühlen, KI-Gefahren und Social-Media-Dominanz.
Zielgruppen adressieren – alt oder jung?
Wenig Bühne gibt es für die Geldgeber der Branche, die Marketer. Nur an einem Tag auf einer der sechs Bühnen wird über Performance, Effizienz, Impact und Selling und wer ist die richtige Zielgruppe diskutiert. Diese verschwimmen, weil die Alten sind viele, haben Kohle und werden kaum adressiert und dabei wollen sie doch gar nicht altern, sind cooler als die Kids. Und die so dringend gesuchten Jungen? Sie driften ab in die sozialen Medien, sind Creators, sich ihrer digitalen Sucht erstaunlich bewusst und dazu ganz schön selbstkritisch sind und erkennen Fake besser als die Generation 50+. Wie sie sich abgrenzen: sie sprechen „Denglisch”, weil sie wollen ihre eigene Community – fair enough. Der energetische Ami-Up-Tempo-Speaker Evan Shapiro meint: „Alt und jung leben auf zwei Planeten“ in Bezug auf ihr Medienverhalten. Stimmt, auch auf den Medientagen sitzen die Unter-25-Jährigen bei den Influencern und Creators der Media for You-Bühne und verlaufen sich so gut wie nie zu anderen Bühnen.
Ausnahme: Als die junge Journalistin Karen Hao die Bühne betritt. Das muss man lesen! Haos Buch „Empire of AI“ ist harter Tobak für die aktuell erfolgreichste AI-Company der Welt. Sie prangert basierend auf tiefgehender Recherche die imperiale Vorgangsweise von OpenAI an und vergleicht diese mit Kolonialismus. OpenAI beute Menschen aus und nutze knappe Ressourcen, sei Macht und Geld orientiert, sei intransparent und habe sich von Qualitätsinhalten abgewandt: „Das ist Blendung.“ Dabei meint sie auch noch, das Geschäftsmodell sei nicht stabil, denn wenn man Billionen ausgibt und nur Milliarden einnimmt, geht sich das nicht aus. Außerdem: „KI ist ein Bubble-Ding!“ Aha.
Österreich ist top
Einen Slot bekommt auf der Purple Stage mit einem Workshop das steirische Start-up Auphonic mit Gründer Christoph Gasser. Mit Hilfe von KI und Software-Kompetenz holt das Unternehmen aus schlechtem Audio-Sound das Maximum raus – ich habe es selbst gehört. Leistbar, easy zu bedienen und österreichische Qualität für Podcaster:innen und Audioproduzent:innen. Anhören. Beliebtester Treffpunkt der Tage ist der Stand des Burgenland Tourismus. Mit Top-Weinen gibt das ein gemütliches Alleinstellungsmerkmal. Dazu bringen TikTok-ZIB-Star Sophie Ströbitzer beim Journalismus-Gipfel und Ingrid Thurnher am Audio-Podium Schwung rein.
Gesamtbewertung: Vier von fünf Sternen. Coole Location. Engagierte Organisation. Bemühte und breite Themensetzung. Einige Top-Stars. Starke Einbindung der Jungen. Es fehlt die Vermischung. Innovativer Geist – naja. Energy und Vibe ok. Blaue Panther Awardverleihung mit deutschen Film- und Fernsehstars in der BMW-Welt sind ein Pluspunkt.
Birgit Schaller ist Founderin von BiSness, einer Content- und Presse-Agentur in Wien. Der Besuch der Medientage München fand im Rahmen einer Weiterbildungsreise für die FH Wien der WKW statt.











