Ein Szenario: Ein Verbraucher bittet seinen KI-Assistenten um die Bestellung von Bio-Olivenöl. Innerhalb von Sekunden durchforstet die KI hunderte von Webshops, vergleicht Preise, Inhaltsstoffe und Lieferzeiten – und bestellt. Der Kunde bekommt ein Produkt geliefert, dessen Marke er nie bewusst gewählt hat. Für ein österreichisches Familienunternehmen, das seit Generationen hochwertiges Olivenöl produziert, bedeutet das: Unsichtbarkeit trotz Qualität.
Diese Zukunft ist näher, als viele glauben. Tech-Konzerne wie Amazon testen bereits Funktionen wie „Buy for Me”, während Google mit „Gemini 2.0″ den autonomen Einkauf vorantreibt. Die Konsequenz: Der liebevoll gestaltete Online-Shop wird zur bloßen Datenquelle degradiert, während KI-Agenten die Kaufentscheidungen treffen.
Der Verlust der emotionalen Verbindung
Jahrzehntelang haben Marken auf Storytelling, Emotionen und persönliche Ansprache gesetzt. Doch ein KI-Agent interessiert sich wenig für die Geschichte einer Tiroler Bergbauernfamilie und ihren Käseprodukten. Er bewertet knallhart: Preis, Verfügbarkeit, technische Spezifikationen. Besonders prekär wird es für österreichische Marken, die oft regional verwurzelt sind und auf Werte wie Tradition oder Nachhaltigkeit setzen. Diese „weichen” Faktoren lassen sich nur schwer in maschinenlesbare Daten übersetzen. Ein Algorithmus, der primär auf Kosteneffizienz programmiert ist, bevorzugt möglicherweise das günstigste Produkt aus Fernost statt der handwerklich produzierten Alternative aus Salzburg.
Neue Spielregeln erfordern neue Strategien
Die Loyalität der Verbraucher verschiebt sich: Statt zur Marke gilt sie nun dem KI-Agenten, dem blind vertraut wird. Marken müssen daher eine Doppelstrategie fahren. Einerseits müssen sie ihre digitale Infrastruktur KI-kompatibel gestalten – mit strukturierten Daten, offenen Schnittstellen und vollständigen Produktinformationen. Andererseits brauchen sie eine klare Positionierung: Wofür steht die Marke? Was macht sie unverwechselbar?
Eine starke Markenpositionierung wird paradoxerweise wichtiger denn je. Nur wer ein so spezifisches und begehrenswertes Angebot schafft, dass Verbraucher gezielt nach der Marke fragen „Bestell mir Manner-Schnitten” statt „Bestell mir Nussschnitten”, kann dem Algorithmus-Filter entkommen.
Messbare Veränderungen im Marketing
Die Marketing-Kennzahlen wandeln sich bereits. Neben klassischen Metriken wie ROAS (Return on Advertising Spend) gewinnen neue KPIs an Bedeutung: Die „Agentic Checkout Rate” misst, wie oft KI-Agenten Produkte einer Website kaufen. Der „Agentic Compatibility Score” bewertet, wie gut ein Online-Shop für Algorithmen lesbar ist. Erste Infrastruktur-Anbieter positionieren sich bereits: Mastercard, Visa und PayPal haben ihre Zahlungssysteme für KI-Anbieter wie Microsoft und OpenAI geöffnet. Die Weichen sind gestellt.
Was österreichische Unternehmen jetzt tun müssen
Der Handlungsbedarf ist unmittelbar. Unternehmen müssen ihre Datenstrategie überdenken: Sind alle Produktinformationen vollständig und strukturiert verfügbar? Können KI-Systeme Material, Herkunft, Nachhaltigkeit und Kundenbewertungen auslesen und bewerten?
Gleichzeitig dürfen sie die menschliche Komponente nicht vernachlässigen. Eine präzise Markenpositionierung wird zum Überlebensfaktor: Was unterscheidet das eigene Produkt so fundamental von der Konkurrenz, dass Verbraucher gezielt danach fragen? Die Ironie: Während Technologie den Handel revolutioniert, werden die ältesten Marketing-Prinzipien wieder zentral – Einzigartigkeit, klare Positionierung und der Mut, für etwas Spezifisches zu stehen, anstatt für alle alles sein zu wollen.
Unternehmen, die diesen Wandel verschlafen, verschwinden nicht mit großem Getöse von der Bildfläche. Sie werden einfach nicht mehr empfohlen – und damit nicht mehr gekauft.
Positionierungsexperte Helmut Kosa ist Managing Partner der Wachstumsberatung &US die nationale und internationale Unternehmen und Organisationen bei der Markenpositionierung, Strategieentwicklung und Implementierung von Wachstumslösungen berät.