Die Google-Watschn für Europa

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Albert Sachs
Der erneute Rückzieher von Google beim Aus für die 3rd-Party-Cookies ist nicht nur ein Affront gegen die Digitalbranche, sondern auch eine Machtdemonstration gegenüber Europa.

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Die finnischen Autoren Juha-Pekka Raeste und Hannu Sokala setzten Google in ihrem 2021 im Original erschienen Buch „Die 50 gefährlichsten Unternehmen der Welt“ (Die deutsche Ausgabe wurde 2023 im Econ Verlag publiziert.) ganz klar auf Platz 1. Die Begründung für diese Einordnung lässt sich kaum besser zusammenfassen als im Untertitel das Kapitels über den Suchmaschinen-Giganten formuliert: „Weiß zu viel über uns.“ Vielleicht hätten die beiden Investigativ-Journalisten aus dem hohen Norden noch ergänzen sollen: „Hat zu viel Macht über uns.“

Der erneute Rückzieher des US-Konzerns beim Aus der 3rd-Party-Cookies, das sich mittlerweile über einige Jahre ziehende Hin-und-Her um diese automatisierten Informationen zu den UserInnen im Web, stellt nicht nur einen Affront gegenüber den Digital-Agenturen und ‑Vermarkter mit immensen Schaden dar. Es erweist sich als zynisches Spiel mit der Marketings-Industrie und vor allem als eine gewaltige Machtdemonstration eines US-Konzerns gegenüber Europa.

Im globalen Wirtschaftsgefüge hat Europa, auch wenn die EU vereinzelt ihre Muskeln spielen lässt, immer schlechtere Karten. Generell scheint die Macht von Regierungen und staatlichen Organisationen gegenüber den Digital-Konzernen immer mehr zu schwinden. Die KonsumentInnen haben ihren Einfluss auf die globalen Giganten, seien sie unter GAFA, FAANG, GAFAM oder neuerdings Magnificent Seven subsummiert, ohnedies längst verloren.

Das sah bei jenen Unternehmen, die vor der Ära der Digital-Giganten die globalen Rankings anführten, ganz anders aus. Coca-Cola – Mag man oder mag man nicht. Mercedes-Benz – Konnten sich lange Zeit ohnedies nur sehr begüterte Menschen leisten. Intel – Da gab es für die EndverbraucherInnen nicht wirklich Berührungspunkte. General Electric – War auf die USA beschränkt. IBM – Schreibmaschinen wirkten nicht wirklich gefährlich. Disney – Unterhielt uns mit unschuldigen Filmen so nett. Nokia – Wer sah in einem Telefon schon eine Bedrohung. McDonald´s – Mag man oder mag man nicht. Marlboro – Betraf nur die RaucherInnen. Shell und BP – Mit dem Benzin wurde keine Weltanschauung in den Tank gefüllt – und es gab viele andere Marken. 

Die Macht lag in all diesen Fällen – zumindest teilweise – bei den KonsumentInnen. Sie entschieden, ob sie ein Produkt, eine Marke kaufen wollten oder eben nicht. Mit dem explosionsartigen Wachstum der GAFAs und anderer Digitalriesen änderte sich diese Situation in den vergangenen Jahren schlagartig. Dabei tauchte Google erst im Jahr 2008 in der Liste der 15 größten globalen Unternehmen auf, Apple folgte 2011, Amazon 2014 und Facebook gar erst 2016. Doch die Rolle der KonsumentInnen in diesem Machtgefüge schrumpfte seither massiv. Die Entscheidungsmöglichkeit lautet nicht mehr: Kaufe ich oder kauf ich nicht.

Heute heißt die Optionen vielfach nur noch: Ich bin dabei oder eben nicht. Die größten Marken und Konzerne haben sich zu Oligopolen entwickelt, die mit ihren Produkten und Services, vor allem aber mit ihrer Allmacht den KonsumentInnen und damit ihren KundInnen kaum noch eine Wahlmöglichkeit lassen. Sie bestimmen, wie die Welt tickt, wie das Wirtschaftssystem funktioniert, was und wie wir etwas zu tun oder lassen haben. Mögliche Konkurrenten werden einfach an die Wand gedrückt oder in bestem Falle und dank der enormen Finanzmacht einfach übernommen und damit vom Markt gekauft. Die eigene Macht und Marktposition damit nicht nur gefestigt, sondern ausgebaut. Das beste Beispiel dafür liefert Google mit dem Kauf von YouTube selbst. Denn längst gilt YouTube nicht mehr nur als Plattform für das Abspielen von Videos – es hat sich mittlerweile auch zu einer der führenden Suchmaschinen entwickelt, die von vielen Marktbeobachtern in diesem Segment sogar schon als globale Nummer 2 geführt wird. Dabei vereint Google ohnedies seit vielen Jahren durchschnittlich 92 Prozent aller weltweiten Suchanfragen auf sich.

Aus heutiger Sicht zeichnet sich am Horizont des globalen Wirtschaftsuniversums kaum eine existenzielle Bedrohung für die globalen Gigakonzerne ab. Auch weil sie trotz ihrer Größe und im Gegensatz zu vielen früheren Marktführern aus traditionellen Branchen extrem flexibel reagieren und zukunftsorientiert agieren. Die GAFAs und Co. werden nicht so rasch aus dieser Welt verschwinden. Ihre Macht wächst weiter ungehindert. Kleine Unternehmen, ganze Branchen und vielleicht auch Europa werden in diesem Gefüge immer mehr zum Spielball.

Im Rahmen einer Gastkommentar-Serie auf INTERNET WORLD Austria veröffentlichen wir die Meinungen von Führungskräften heimischer Publisher, Vermarkter, Agenturen und werbetreibender Unternehmen zur 180-Grad-Wendung bei der Third-Party-Cookie-Strategie von Google.

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