re:publica 2025
© Anne Barth/re:publica

Zwischen Täuschung und Trend: Virtuelle Influencer auf dem Vormarsch

Virtuelle InfluencerInnen verändern die digitale Werbewelt grundlegend – und stellen Marketingverantwortliche wie KonsumentInnen vor neue Herausforderungen.

Beitrag teilen:

Die Grenzen zwischen realer und digitaler Welt verschwimmen zunehmend – und mit ihnen auch die Vorstellung davon, wer oder was Einfluss auf unsere Entscheidungen nimmt. Virtuelle InfluencerInnen, vollständig computergenerierte Persönlichkeiten, haben sich längst von einem Nischentrend zu einem festen Bestandteil digitaler Kommunikationsstrategien entwickelt. Auf der re:publica 2025 zeigte Vera Lenz-Kesekamp, Professorin für Marketing, wie diese Entwicklung nicht nur die Markenführung, sondern auch gesellschaftliche Normen verändert.

Bereits heute folgen Millionen Menschen Profilen wie Lil Miquela oder Ludo Magalu, obwohl diese Figuren keine echten Menschen sind. Sie werden von Agenturen kreiert, visuell gestaltet und inhaltlich gesteuert. Und doch erzeugen sie echte Emotionen, echte Reaktionen und nicht zuletzt reale wirtschaftliche Effekte. Laut Studien erkennen bis zu 80 Prozent der NutzerInnen nicht, ob es sich bei einem Influencer-Profil um eine reale oder künstliche Person handelt. Jüngere Zielgruppen sowie Männer sind dabei besonders empfänglich.

Perfekte Projektionsflächen mit wirtschaftlicher Wirkung

Die Gründe für diesen Erfolg sind vielschichtig. Einerseits bieten virtuelle InfluencerInnen Marken maximale Kontrolle: Sie sind rund um die Uhr verfügbar, verlässlich, inszenierter und frei von Skandalen. Andererseits sind sie perfekte Projektionsflächen – makellos, vielfältig einsetzbar, optisch an jede Zielgruppe anpassbar. Diese hohe Gestaltbarkeit erlaubt Unternehmen, den sogenannten „Brand Fit” ideal umzusetzen. Während bei realen InfluencerInnen die persönliche Integrität und Authentizität eine entscheidende Rolle spielt, kann bei virtuellen Avataren jedes Detail strategisch geplant werden.

Die psychologische Wirkung bleibt dabei identisch. Virtuelle InfluencerInnen nutzen – bewusst oder unbewusst – Mechanismen der persuasiven Kommunikation. KonsumentInnen lassen sich emotional beeinflussen, sei es durch spontanes Kaufverhalten im Sinne des Decision Design oder durch langfristige Einstellungs- und Verhaltensänderungen via Behavioral Design. Die dabei entstehende Nähe zur Community ist oft kaum von der zu realen Personen zu unterscheiden.

Zwischen Kreativität, Kontrolle und gesellschaftlicher Verantwortung

Doch neben wirtschaftlichem Potenzial und kreativen Möglichkeiten – etwa im Storytelling oder der personalisierten Kampagnenführung – zeigen sich auch kritische Aspekte. Die vermeintlich grenzenlose Diversität digitaler Avatare wird häufig durch eine kleine Zahl an Techunternehmen gesteuert, was eine neue Form der Monopolisierung bedeutet. Zudem manifestieren viele dieser künstlichen Figuren ein oft unerreichbares Idealbild – in Aussehen, Verhalten und Performance. Das kann insbesondere bei jüngeren Zielgruppen zu problematischen Selbstbildern führen.

Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich aus der Frage nach Authentizität und Transparenz. Wer steht hinter der Figur? Wer verantwortet die Inhalte? Und wie lassen sich manipulative Kommunikationsformen erkennen und regulieren? Vera Lenz-Kesekamp sieht hier nicht nur Unternehmen, sondern auch Gesellschaft und Politik in der Pflicht. Denn virtuelle InfluencerInnen sind nicht bloß Marketing-Tools – sie sind digitale AkteurInnen mit echtem Einfluss auf Werte, Konsumverhalten und Selbstwahrnehmung.

Nicht zuletzt wirft die Entwicklung auch Fragen nach Kontrolle, Ethik und Identität auf. Wenn künstliche Vorbilder keine Schwächen zeigen, was bedeutet das für unser Verständnis von Echtheit? Und welche Rolle spielt Kreativität, wenn Geschichten und Inhalte auf Knopfdruck generiert werden können? Die Referentin macht deutlich: Die Antwort auf diese Fragen entscheidet mit darüber, wie verantwortungsvoll und nachhaltig sich die Zukunft der digitalen Kommunikation gestalten lässt.

Mit einem prognostizierten Marktvolumen von rund 46 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2030 – bei jährlichen Wachstumsraten von über 40 Prozent – wird deutlich: Virtuelle InfluencerInnen sind kein kurzlebiger Trend, sondern ein struktureller Wandel. Ob sie Kunst, Werkzeug oder Risiko darstellen, hängt letztlich davon ab, wie bewusst mit ihnen umgegangen wird.

Beitrag teilen: