Torsten Kleinz hielt bei der re:publica eine Keynote unter dem Titel "Wie Werbung bei Netflix das Netz verändert"
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Torsten Kleinz hielt bei der re:publica eine Keynote unter dem Titel "Wie Werbung bei Netflix das Netz verändert"

Künstliche Intelligenz, Werbung, Paywalls: Wie sich das Internet grundlegend ändert

Streaming mit Werbung, KI-Browser und verschwindende Geschäftsmodelle: Die re:publica 2025 verdeutlicht, wie datengetriebene Plattformen und Zero-Click-Technologien das Internet grundlegend verändern – mit weitreichenden Folgen für Medien und Werbung.

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Es ist weniger eine Prognose als ein Befund: Das Internet befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. Journalist Torsten Kleinz zeichnete auf der re:publica 2025 ein kritisches Bild einer digitalen Landschaft, die sich zunehmend entlang kommerzieller Interessen neu ordnet – angetrieben von Werbemodellen, Künstlicher Intelligenz und datengetriebenen Plattformlogiken. Das Netz entwickelt sich nicht nur technologisch weiter, sondern auch strukturell – mit weitreichenden Folgen für Inhalteanbieter, Medienhäuser und Nutzerinnen gleichermaßen.

Vom Streaming zur Plattformlogik: Wie Werbung Inhalte beeinflusst

Ein zentrales Beispiel für diesen Wandel ist der Strategiewechsel von Netflix. Die Plattform, lange Synonym für werbefreien Premium-Content, verfolgt mittlerweile ein hybrides Modell mit Werbung. Auch Disney+ und weitere Anbieter folgen diesem Kurs. Die Monetarisierung erfolgt nicht mehr primär über den Zugang zu Inhalten, sondern über deren Verwertung entlang zielgruppenspezifischer Werbelogiken. Algorithmen und Werbekunden nehmen damit zunehmend Einfluss auf die Sichtbarkeit und Produktion von Inhalten. Kleinz betonte, dass diese Entwicklung nicht nur das klassische Fernsehen transformiert, sondern auch bestehende Internetplattformen unter Druck setzt. Die Folge: Werbeeinnahmen verlagern sich, und die Zentralisierung des Netzes schreitet weiter voran.

Parallel geraten viele bislang kostenlose oder subventionierte Dienste unter finanziellen Druck. So verkündete Mozilla kurzfristig, seinen Dienst Pocket künftig kostenpflichtig anzubieten. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass US-Gerichte Google dazu verpflichten könnten, künftig kein Geld mehr an Drittanbieter zu bezahlen, um die Google als Suchmaschine in ihren Angeboten zu platzieren. Die Zahlungen von Google machen immerhin 80 bis 90 Prozent der Einnahmen der Mozilla Foundation aus, jener Stiftung, die eben hinter Pocket und dem beliebten Browser Mozilla steht.

KI und der Verlust der Sichtbarkeit

Ein besonders prägnantes Beispiel für den Wandel digitaler Informationsvermittlung liefert der neue KI-Browser „Comet“ von Perplexity AI. Er kombiniert klassisches Browsing mit generativer Künstlicher Intelligenz und liefert auf Anfrage direkte Antworten, Quellenhinweise und Empfehlungen – ohne dass Nutzerinnen und Nutzer externe Webseiten besuchen müssen. Der Browser trackt alle User-Aktivitäten mit und kann so hyperpersonalisierte Inhalte und auch Werbung präsentieren. Diese Entwicklung steht exemplarisch für das sogenannte Zero-Click-Internet: Informationen werden direkt in Suchoberflächen oder durch Sprachassistenten bereitgestellt, während die eigentlichen Inhalte zunehmend im Hintergrund verschwinden.

Die Konsequenzen sind gravierend – nicht nur für den Journalismus. Redaktionen verlieren Sichtbarkeit, Reichweite und damit wichtige Einnahmequellen. Da Inhalte von KI-Systemen zusammengefasst oder synthetisch verarbeitet werden, bleiben oft weder Urheberschaft noch Markenbindung erkennbar. Gleichzeitig gerät auch die Werbeindustrie unter Anpassungsdruck: Klassische Werbeformate verlieren an Bedeutung, wenn User sich kaum noch auf externen Seiten bewegen. Marken müssen neue Wege finden, um in KI-gesteuerten, zunehmend geschlossenen Ökosystemen sichtbar zu bleiben – oft ohne zu wissen, wie ihre Botschaften dort überhaupt ausgespielt werden.

Es entsteht ein digitaler Teufelskreis: Weil Medienhäuser weniger Werbeeinnahmen erzielen, stehen sie unter Druck, Inhalte stärker zu monetarisieren oder auf Reichweite zu optimieren. Gleichzeitig orientiert sich die Werbeindustrie zunehmend an Plattformen und KI-Systemen, die auf maximale Datenverwertung statt auf inhaltliche Qualität setzen. Dadurch geraten unabhängige Medien weiter ins Hintertreffen – und machen sich in ihrer Not abhängig von denselben Plattformen, die ihre Reichweite beschneiden. Auch für die Werbewirtschaft birgt das Risiken: Wenn sich Öffentlichkeit nur noch innerhalb algorithmischer Umgebungen abspielt, wird Markenkommunikation nicht nur unübersichtlicher, sondern auch anfälliger für Intransparenz und Kontrollverlust.

In diesem technologisch und wirtschaftlich geprägten Wandel stellt sich die Frage nach der digitalen Öffentlichkeit neu. Personalisierung, algorithmische Vorauswahl und zentralisierte Plattformstrukturen verdrängen offene Informationsräume. Was sichtbar ist, wird zunehmend von Plattforminteressen und Datenlogiken bestimmt – nicht von journalistischer Relevanz oder gesellschaftlicher Notwendigkeit. Der Strukturwandel des Internets betrifft damit nicht nur einzelne Dienste, sondern das Fundament, auf dem digitale Kommunikation bisher basierte.

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