Was war das Ziel, mit dem ihr in das Redesign gegangen seid?
Michael Sommer: Allen voran wollten wir der Seite mehr Charakter geben. Als Magazin sind wir bekannt für meinungsstarken Journalismus mit klarer Haltung – das sollte auch unsere Website widerspiegeln. Dabei ging es uns aber nicht nur um eine neue Optik, sondern vor allem um eine bessere Nutzererfahrung: klare Orientierung, schneller Zugriff auf relevante Inhalte und ein Lesegefühl, das dem Qualitätsanspruch des Mediums gerecht wird. Im Fokus stand zudem ein neuer Entwicklungsansatz. Wir wollten weg von einem starren, monatelang vorbereiteten Relaunch hin zu einer iterativen, datenbasierten Produktentwicklung. Der Relaunch von profil.at war deshalb kein einmaliges Ereignis, sondern ein gestufter Prozess über mehrere Monate hinweg. Der erste sichtbare Schritt war die neue Navigation – sie hat bereits Teile der neuen Designsprache angedeutet, ohne das bestehende Nutzungserlebnis zu brechen. Uns war wichtig, dass alte und neue Elemente harmonisch zusammenarbeiten, damit sich die Seite für Leserinnen und Leser jederzeit stabil und vertraut anfühlt. Diese Vorgehensweise hat es uns ermöglicht, jeden Schritt zu testen, zu messen und bei Bedarf schnell zu korrigieren. Wir haben sozusagen „am lebenden Objekt“ gelernt und optimiert. In den letzten drei Monaten gab es wahrscheinlich sechs oder mehr unterschiedliche Zwischenversionen der Seite – viele davon vorab geplant, andere neu entstanden aus Daten, redaktionellem Feedback oder konkreten Rückmeldungen von Nutzerinnen und Nutzern. So wurde das Redesign selbst zu einem laufenden Lernprozess – und zur Basis für eine nachhaltige Produktkultur.
Wofür steht profil.at nach dem Redesign?
Sommer: Für mich persönlich steht profil für große Recherchen, klare Meinung und tagesaktuelle Nachrichten mit Tiefgang. Unser Ziel war, diese Qualitäten auch digital spürbar zu machen – mit einer Website, die eigenständig wirkt und Ecken und Kanten hat, so wie das Magazin selbst. Wir haben uns in der Nutzungserfahrung an großen europäischen und internationalen Marken orientiert, aber bewusst eine Design-Sprache gewählt, die zu profil passt: reduziert, lesefreundlich, konzentriert. Ein zentraler Gedanke war auch, Unabhängigkeit in der digitalen Distribution zu stärken. Wir erleben gerade, dass Plattformabhängigkeit teuer wird. Wir wollen Menschen begeistern, die bewusst zu profil.at kommen, weil sie dort Qualität erwarten – nicht, weil ihnen ein Algorithmus etwas zufällig vorsetzt. Dafür braucht es Produkte, die Gewohnheiten aufbauen: eine Seite, die man täglich besucht, die Orientierung gibt und Vertrauen schafft. Idealweise ist das eine starke Basis für den Ausbau des digitalen Abo-Geschäfts. Wer regelmäßig zurückkehrt, weil er Relevanz und Haltung spürt, ist auch bereit, dafür zu bezahlen.
Welche konkreten Erkenntnisse aus den User-Interviews hat euer Produktteam am stärksten überrascht – und wie sind diese in das neue Interface eingeflossen?
Sommer: Am meisten überrascht hat uns, wie klar die Nutzerinnen und Nutzer benennen konnten, wo sie Orientierung verlieren. Mobil kam immer wieder eine Variation des Satzes: „Ich finde online die besten Sachen nicht – die gehen unter. Print ist da viel klarer.“ Das tut natürlich weh, ist aber genau die Art von Feedback, die man braucht. Rückmeldungen wie diese haben uns zu einer neuen Informationsarchitektur und Navigationslogik geführt. In der mobilen Version haben wir horizontale Swiper, stabile Navigationsanker und eine visuell klarere Hierarchie zwischen Sektionen eingeführt – damit Leserinnen und Leser auch unterwegs jederzeit wissen, wo sie sind und was es noch zu entdecken gibt. Ziel war es, die Struktur von profil.at intuitiver und ruhiger zu machen, ohne Geschwindigkeit oder journalistische Tiefe zu opfern. Wichtig war uns, diesen Prozess nicht aus der Innensicht heraus zu gestalten. Wir haben von Beginn an mit Feedback von echten Leserinnen und Lesern gearbeitet. Ergänzt wurde das durch Datenanalysen und Nutzungsbeobachtungen mit Tools wie Google Analytics, Chartbeat und Clarity. So entstand ein klarer Abgleich zwischen dem, was Menschen sagen, und dem, was sie tatsächlich tun.
Welche User Interface-Entscheidungen und Content-Architekturen unterstützen Tiefgang aktiv – und welche Mechanismen habt ihr bewusst nicht eingebaut?
Sommer: Aus den Erkenntnissen der User-Research haben wir eine Reihe von Entscheidungen abgeleitet, die Lesetiefe gezielt fördern sollen. Im Gegensatz zu vielen anderen Magazinen findet sich in der Rhythmik unserer Startseite viel Text. Es wirkt an manchen Stellen provokant – ein Gegenentwurf zu den üblichen, bildlastigen Teaser-Welten. Um trotzdem Dynamik zu erzeugen, brechen wir diesen Fluss an ausgewählten Stellen mit visuell-opulenteren Elementen, die den Blick in die Horizontale öffnen und dem Leser Orientierung geben, ohne Unruhe zu erzeugen. In der Informationsarchitektur setzen wir heute stärker auf unsere Ressorts – und zeigen sie auch prominent im Hauptmenü. Früher waren sie hinter einem Hamburger-Menü verborgen. Wir sehen bereits, dass sich das Navigationsverhalten verändert hat: Leser bewegen sich gezielter durch die Seite und entdecken Inhalte entlang ihrer Interessen. Am Ende eines Artikels nutzen wir einen Mix aus redaktionellen Picks und Personalisierung über Recommender-Systeme. So entsteht ein Gleichgewicht zwischen journalistischem Gespür und datengetriebener Relevanz. Wir zeigen bewusst wenige, aber passende Anschlussstücke, statt beliebige Empfehlungen auszuspielen. Gleichzeitig haben wir die Zahl der Links im Text reduziert – Leser sollen lesen, nicht permanent weiterklicken. Ziel war eine ruhige, fokussierte Leseerfahrung, die Orientierung gibt, statt zu zerstreuen.
Welches KPI-Set ist für dich das ehrlichste Erfolgsmaß dieser neuen Website?
Sommer: Reichweite bleibt ein zentraler Erfolgsindikator. Gerade für ein journalistisches Produkt. Sie zeigt, ob Inhalte gesehen, geteilt und – im Fall von profil besonders wichtig – gesellschaftlich relevant sind. In der Produktentwicklung und speziell im Kontext des Relaunchs betrachten wir Metriken, die tiefer ins Nutzungserlebnis hineinreichen – also jene Kennzahlen, die wir aktiv beeinflussen können. Unsere North-Star-Metrik ist PI/Visit: Wie viele Seitenaufrufe entstehen in einer Sitzung, wie stark bewegen sich Nutzerinnen und Nutzer durch unser Produkt? Ergänzend dazu analysieren wir die Session Duration, also die Länge einer einzelnen Nutzung, und andere Metriken, die uns Aufschlüsse über die Session-Qualität geben könnten. Unsere loyalste Nutzergruppe sind jene, die direkt über die Startseite kommen. Sie lesen mehr, bleiben länger und interagieren tiefer mit unseren Inhalten. Auf der Startseite beobachten wir daher Click-Through-Rates, Scrolltiefe und klassische Absprungpunkte. Diese Werte zeigen uns, wie gut die Struktur funktioniert, wo Orientierung verloren geht und welche Formate tatsächlich wirken. Diese Metriken konnten wir durch die einzelnen Relaunch-Schritte schon deutlich verbessern.
Mit welchen weiteren Neuerungen wird profil.at die Branche überraschen?
Sommer: Wenn ich das jetzt erzählen würde, wäre es keine Überraschung mehr. Fest steht: Wir stehen mit der Produktentwicklung bei profil.at erst am Anfang. Seit Oktober habe ich einen eigenen Produktmanager in meinem Team, der gemeinsam mit Design und Entwicklung die kontinuierliche Weiterarbeit verantwortet. Ein Schwerpunkt der kommenden Wochen und Monate wird die Abo-Erfahrung. Auch auf Artikel-Ebene planen wir weitere Verbesserungen. Unser Ansatz bleibt derselbe: Wir entwickeln iterativ, datenbasiert und im direkten Austausch mit unseren Leserinnen und Lesern.













