Fachkräftemangel und steigende Arbeitslosigkeit: Der österreichische Arbeitsmarkt ist paradox. Die angespannte Wirtschaftslage verschärft die Situation für Arbeitnehmende, Unternehmen und Volkswirtschaft, zumal mit dem Pensionseintritt der Babyboomer weitere Engpässe drohen. Aus der Politik kommen Forderungen danach, Menschen sollen doch mehr arbeiten. Viele Beschäftigte in Österreich sehen das anders: 58 Prozent halten Mehrarbeit aus Gründen des Wohlstandserhalts für nicht nötig. Ein Bewusstsein für die aktuell angespannte Lage scheint es dennoch zu geben: Im vergangenen Jahr lag dieser Wert mit 61 Prozent noch etwas höher.
Deutliche Unterschiede gibt es bei der Einstellung zur Notwendigkeit nach Mehrarbeit zwischen den Geschlechtern und Generationen: Frauen (61 Prozent) verneinen diese kategorischer als Männer (56 Prozent). Die Zustimmung nimmt auch mit dem Alter ab. Sind bei den 18- bis 24-Jährigen 51 Prozent dieser Meinung, sind es bei Beschäftigten über 55 Jahren ganze 66 Prozent.
Wunsch nach mehr Me-Time, weniger Stress und mehr Zeit für Familie und Freunde
57 Prozent der Beschäftigten in Österreich würden sogar gerne weniger arbeiten. Nach den Gründen dafür gefragt, sagen 65 Prozent, sie hätte gerne mehr Zeit für sich – etwa für Hobbies oder persönliche Projekte. 55 Prozent hätten gerne weniger Stress, 47 Prozent mehr Zeit für Verwandte und Freunde. Nur 15 Prozent würden gerne weniger arbeiten, um mehr Zeit für Care-Arbeit zu haben.
Bei der Frage nach mehr oder weniger Arbeit fallen vor allem die 25- bis 34-Jährigen auf, die überdurchschnittlich oft weniger arbeiten wollen (63 Prozent). Bei den 45- bis 55-Jährigen sind es dagegen nur 50 Prozent (18 bis 24 Jahre: 60 Prozent, 35 bis 44 Jahre: 63 Prozent, 55 bis 65 Jahre: 53 Prozent).
Das überrascht umso mehr, als die Befragten generell zufriedener mit der Vereinbarkeit von ihrem Berufs- und Privatleben sind als im letzten Jahr: 58 Prozent sind „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ (2024: 55 Prozent). 6 Prozent (2024: 7 Prozent) sind „sehr unzufrieden“ oder „unzufrieden“.
„Die Ergebnisse zeigen: Menschen wollen arbeiten – aber unter Bedingungen, die ein gesundes, erfülltes Leben ermöglichen“, sagt Thomas Kindler, Managing Director von XING. „Dass die Zufriedenheit mit der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gestiegen ist, ist ein positives Signal. Zeit für Familie, Freunde und Erholung ist für viele Beschäftigte genauso wichtig wie Karriere. Unternehmen müssen diese Realität ernst nehmen, können sie aber auch für sich nutzen.“
Finanzielle Anreize als Motivator für Mehrarbeit
Diejenigen, die nicht weniger arbeiten wollen (43 Prozent), geben dafür in erster Linie finanzielle Beweggründe (60 Prozent) an. Großer Spaß an der Arbeit ist jedoch für fast genauso viele (56 Prozent) der ausschlaggebende Faktor. Bei denen, die auch tatsächlich bereit wären, mehr zu arbeiten als im Moment, spielt ebenfalls das Geld die entscheidende Rolle (71 Prozent), doch auch hier liegt Spaß an der Arbeit mit 45 Prozent an zweiter Stelle.
Als Anreiz für freiwillige Mehrarbeit liegen monetäre Aspekte vorne: Bonuszahlungen und Prämien sind der stärkste Motivator (52 Prozent), darauf folgen deutlich höheres Gehalt über die anteilige Stundenzahl hinaus (47 Prozent), ein höheres Gehalt anteilig zur geleisteten Stundenzahl (43 Prozent), zusätzliche Urlaubstage (40 Prozent) sowie steuerliche Anreize (36 Prozent).
Beschäftigte spüren Fachkräftemangel und schwierige Konjunktur im Arbeitsalltag
Ambivalent blicken Beschäftigte in Österreich auf ihre persönlichen Perspektiven am Arbeitsmarkt. Die Chancen, derzeit einen neuen Job zu finden, werden unterschiedlich gut eingeschätzt: 53 Prozent finden es „eher schwierig“ bis „sehr schwierig“ (2024: 54 Prozent), 47 Prozent schätzen es als „überhaupt nicht schwierig“ bis „eher nicht schwierig“ (2024: 46 Prozent) ein. Auch in diesem Punkt offenbaren sich die Widersprüche am derzeitigen Arbeitsmarkt.
Ebenso ist der Fachkräftemangel bei vielen im Alltag spürbar: 39 Prozent berichten von Schwierigkeiten, Personal zu finden. 29 Prozent davon, dass ihr Stresslevel zugenommen hat und 28 Prozent von einer erhöhten Arbeitsbelastung. 22 Prozent sagen, es gebe schlechte Stimmung und Motivationsprobleme im Team, 21 Prozent geben an, dass die Qualität der Arbeit leide, da sie viele zusätzlichen Aufgaben übernehmen müssten. 17 Prozent haben mehr Verantwortung übertragen bekommen. 16 Prozent haben Sorge vor einem Burnout. Allerdings geben weniger Beschäftigte als im Vorjahr (2025: 10 %; 2024: 11 %) an, dass ihr Unternehmen sich nun verstärkt um die Anliegen der Mitarbeiter kümmere, um diese zu halten.
„Es gibt hier ganz klaren Handlungsdruck“, sagt Thomas Kindler. „Es ist für Unternehmen deutlich aufwändiger und teurer, neue Mitarbeitende zu rekrutieren und einzuarbeiten als bestehende zu halten, gerade dann, wenn es um hochqualifizierte Fachkräfte geht. Die Zahlen zeigen, dass viele Menschen bereit sind, mehr zu leisten und mehr zu arbeiten, wenn man ihnen die richtigen Anreize bietet. Spaß an der Arbeit ist für viele Menschen genauso wichtig wie Geld. Und auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gilt: Motivation und Wertschätzung kosten nichts außer gut investierte Zeit.“