Herr Andree, Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „Krieg der Medien“. Welche konkreten Schlachten sehen Sie derzeit – und wer sind die Hauptakteure?
Martin Andree: Auf der ökonomischen Ebene drücken die Tech-Monopole die europäischen Medienanbieter an die Wand und schaffen dabei nebenbei auch den Journalismus ab. Auf der politischen Ebene haben sie sich mit der Trump-Regierung verbündet. Das ist nicht überraschend, denn beide Seiten passen aufgrund der libertären Ablehnung des demokratischen Staates und seiner komplexen, quasi „nervigen“ Gewaltenteilung bestens zueinander. In Synchronisation gehen sie jetzt gemeinsam gegen die europäischen Demokratien vor – einerseits gegen Regulierung, um ihre monopolistische Kontrolle des europäischen Internets weiter abzusichern, andererseits unterstützen sie rechtspopulistische Parteien in Europa. Diese nennt das US-Außenministerium bereits „zivilsatorische Alliierte“. Übrigens ist die kriegerische Begrifflichkeit in meinem Buch keine eigene Erfindung zum Zweck der Dramatisierung – solche Begriffe werden von den genannten Akteuren selbst ganz offen verwendet.
Sie kritisieren das politische Zögern in Europa. Wo genau sehen Sie die größten Versäumnisse der europäischen Digitalpolitik – und welche Chancen wären Ihrer Meinung nach bereits vertan?
Andree: Es geht nicht nur um die Politiker – es ist ja umgekehrt erstaunlich, dass wir es alle so lange nicht verstanden haben. Dass Monopole schädlich sind, versteht ja jedes Kind. Dass Monopole auf dem Feld der Medien komplett inakzeptabel sind, weil sie gegen zentrale demokratische Prinzipien wie Anbietervielfalt, Unabhängigkeit und Bündelung von Meinungsmacht verstoßen, ist auch völlig klar. Deswegen ist es eigentlich auch unfair, nur Politik-Bashing zu betreiben. Wissenschaft, Journalismus, Institutionen: Wir haben es offenbar alle nicht erkannt. Auf den coolen Digitalkonferenzen laden wir doch stets haufenweise Trendforscher, Futurologen, Digital-Experten ein. Auch die haben’s null geblickt. Dabei war das Riesenproblem doch stets direkt vor unserer Nase. Eigentlich lustig, oder? Vor allem, weil wir im digitalen Zeitalter doch angeblich so tolle Zugriffe auf Informationen haben. Für unsere Eitelkeit ist das kein guter Case.
Plattformen wie TikTok, YouTube oder X prägen zunehmend die öffentliche Meinung. Was müsste passieren, damit demokratische Gesellschaften hier wieder mehr Kontrolle gewinnen?
Andree: Das Kernproblem ist, dass Demokratien seit ihren Anfängen in der Antike immer eine Gestaltungshoheit über die Öffentlichkeit hatten, die ja ihre eigene Grundlage darstellt. Bildlich erklärt: Wenn die Athener sich auf der Agora getroffen haben oder die Römer auf dem Forum, um sich zu beraten, dann konnten diese demokratischen Gemeinschaften schon damals selbst die Regeln definieren, nach denen man sich beraten hat. Dieses Prinzip wird jetzt durch die Plattform-Ökonomie zerstört. Denn die Plattformen bestimmen einseitig über Algorithmen – und sie entscheiden, wer welche Informationen zu sehen bekommt. Aktuell belohnen sie Hass, Hetze, Häme und Polarisierung – und zerstören so unsere demokratische Öffentlichkeit. Aber viel schlimmer ist: Wir haben selbst gar kein Mitspracherecht mehr. Deswegen sind Behauptungen der Plattformen, sie würden den Menschen eine „Stimme“ geben oder „Partizipation“ ermöglichen, eine Lüge. Denn in Wirklichkeit nehmen sie den Menschen ihre Stimme auf der fundamentalen Ebene weg – denn die dürfen jetzt nicht mehr mit darüber entscheiden, wie die demokratische Öffentlichkeit gestaltet sein soll. Die demokratische Souveränität der Menschen, die eigene Öffentlichkeit mitzugestalten, wird hier für immer abgeschafft. Das dies auch noch unter dem Banner vermeintlicher „Meinungsfreiheit“ vollzogen wird, und dass wir diesen Betrug nicht durchschauen, ist eigentlich irre.
In Ihrem Buch zeichnen Sie ein düsteres Szenario, sprechen aber auch von Handlungsspielräumen. Welche Maßnahmen halten Sie kurzfristig für realistisch und wirkungsvoll?
Andree: Trump und die Tech-Konzerne wollen, dass wir ihnen unsere Demokratie verkaufen. Sie beherrschen dann die digitale Welt vollständig und können dann über die Plattformen hier in Europa trumpistische Vorhutorganisationen aufbauen. Im Gegenzug für unsere Unterwerfung müssen wir dann ein paar Prozent weniger Zölle zahlen. Ich glaube, es sollte auch extrem naiven Menschen klar sein, dass das ein „sehr schlechter Deal“ für uns ist, um Trumps eigenes Lexikon zu bemühen. Deswegen ist erst einmal wichtig, dass wir diese Kröte schlucken und als demokratische Gemeinschaften klarstellen: Unsere Demokratie ist unter keinen Umständen verkäuflich. Die Maßnahmen sind klar: Wir müssen die Monopole abschaffen. Die Regulierer wissen genau, wie das geht – also etwa die Öffnung der Plattformen für Outlinks, die Durchsetzung offener Standards, die Trennung von Infrastruktur und Inhalten, und so fort. Wenn Trump schon die winzigen Maßnahmen der EU als Affront auffasst, können wir uns vorstellen, was passieren wird, wenn wir die Monopole abschaffen und die digitalen Märkte für Wettbewerb öffnen. Wir sind also schon längst im „Krieg der Medien“. Und das wäre dann das Szenario, in dem wir uns Tech und Trump nicht bedingungslos unterwerfen.
Sie fordern eine „digitale Souveränität“ Europas. Wie könnte diese in der Praxis aussehen – und was würde das für die etablierten Medien und die Gesellschaft bedeuten?
Andree: Das Problem ist ja, dass die Tech-Konzerne öffentliche Güter monopolisieren. Die sind quasi überlebensnotwendig – jeder braucht beispielsweise Zugang zum Straßennetz oder zur Stromversorgung. Wer öffentliche Güter monopolisiert, hat also unendliche Möglichkeiten, die Abhängigkeiten erpresserisch auszunutzen. In der digitalen Welt monopolisieren die Tech-Konzerne aktuell den Zugang zu den digitalen Mediengattungen (etwa Search, Social Media, Gratis-Video), zu digitalen Märkten (Amazon), aber auch zu Cloud oder IT Services, auf denen unsere Verwaltungen, unsere Transaktionen und alle nur denkbaren Systeme laufen, bis hin zu Office Software mit dem Quasi-Monopol von Microsoft. Tech und Trump haben einen riesigen Kill Switch und können Europa nach Belieben erpressen. Dass diese Abhängigkeiten schon jetzt erpresserisch ausgenutzt werden, haben wir in Dutzenden Fällen bereits gesehen. Deswegen ist digitale Souveränität für uns unverzichtbar. Andernfalls werden wir eine Kolonie – und verlieren unsere demokratische Freiheit.
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