Die Customer Journey war längst noch nicht zum leblosen Buzzwort verkommen, spielte aber schon eine zentrale Rolle in der Marktkommunikation, als die Lead-Agenturen ihre große Zeit erlebten. Große Auftraggeber vertrauten ihre Werbeetats und damit auch ihre Marken einer einzigen Agentur an. Die bestimmte dann, wo es kommunikationstechnisch hinging. Vor allem aber gab sie die kreative Linie rund um ein Produkt, eine Marke vor. Eine solche Agentur hatte den kommunikativen Lead. War eben die Lead-Agentur. Allein diese Bezeichnung klang wie ein Ritterschlag.
Lead-Agenturen waren etwas Besonderes. Sie betreuten die großen Etats. Die strahlendsten Marken. Kreierten Lovebrands. Setzten große Kampagnen in die Welt. Holten Werbepreise ab. Die Menschen hinter Werbe-Löwen und ‑Clios tranken in den schicksten Bars die farbenfrohsten Cocktails.
Doch dann dämmerte in den vergangenen zehn Jahren plötzlich das Ende ebendieses Agentur-Typus herauf. „Wer braucht noch Leadagenturen?“, fragte das Branchenmagazin „w&v” 2019 und widmete dem Thema eine Titelgeschichte. Deren Autor konnte sich allerdings zu keiner finalen Einschätzung durchringen. Hingegen hatte der amerikanische Publizist Michael Farmer schon in seinem Anfang 2017 erschienen Buch „Madison Avenue Manslaughter: An Inside View of Fee-Cutting Clients, Profit-Hungry Owners and Declining Ad Agencies“ das Ende der Lead-Agenturen und jenes Agentur-Modells, auf dem ihr Geschäftsprinzip basierte, verkündet.
Tatsächlich sprach und spricht eine Vielzahl an Gründen für das Aus der gefeierten Branchen-Heros.
Eine frühe Welle an sich herauskristallisierenden Spezial-Anbietern konnten die Lead-Agenturen noch überstehen. Im Gegenteil, PR‑, Directmarketing‑, Event- und andere Spezial-Agenturen konnten ihnen den Lead nicht streitig machen. Die neue Konkurrenz festigte die Position der Lead-Agenturen sogar, galt es doch, all diese Kommunikationsstränge zu bündeln und einen konzisen Markenauftritt zu überblicken und zu steuern. Damit zeichnete sich aber auch eine Aufgabenverschiebung für die Lead-Agenturen ab. Die Administration einer Kampagne wurde immer aufwändiger. Woraus nicht zuletzt eine der Geschäftsgrundlagen für Media-Agenturen erwuchs.
Schließlich läuteten die Digitalisierung und das Entstehen neuer Medien-Kanäle endgültig das Ende der Lead-Agenturen ein. Aber auch auf Kunden- und Konsumentenseite kam es zu dramatischen Umbrüchen, die den Lead-Agenturen ihre Existenz erschwerten. Beispielsweise wuchs bei den Auftraggebern die Vielfalt im Produkt- und Markenportfolio, während sich gleichzeitig oft auch deren Absatz- und Lebenszyklus verkürzte. Aktions- und Verkaufs-Kampagnen brauchen keinen Lead. Unternehmen wünschten sich für ihre Werbung immer mehr kleine, schnelle Agentur-Beiboote als einen behäbig dahinstampfenden Lead-Dampfer.
Genau dieses Phänomen beschleunigten dann auch die neuen, sich immer mehr differenzierenden Medien-Kanäle, in deren Umfeld sich eine bunte Vielfalt an Spezial-Agenturen unterschiedlichster Ausprägung mit fein und feinst ausgerichtetem Fokus herauszubilden begann.
Allerdings wollte und konnte keine dieser neuen Agenturen die bisherige Lead-Funktion übernehmen. Die Lead-Agentur ist – die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel – Werbegeschichte.
Dem nicht genug. Dem Untergang der Lead-Agenturen folgte schließlich auch noch ein Bedeutungswandel des Lead-Begriffs in der Kommunikation. Lead stand plötzlich nicht mehr für die führende Rolle, die Koordination, die Überwachung in einem Kommunikations- und Marketing-Prozess. Lead steht nunmehr für mehr Sales, mehr Absatz, mehr Kunden, mehr Klicks.
Oder was auch immer.