Der Premieren sind viel. Da ist vom „Betreten der großen KI-Spielwiese“ die Rede und davon, dass „erstmals eine innovative Werbeform“ geboten werde. Es folgt der „erste vollständig KI-generierten Branding-Spot im deutschen Fernsehen“. Und nun der „deutschlandweit erste komplett KI-generierte Spot“.
Zwischen all diesen Jubelmeldungen liegen jeweils ein paar Monate. Die Zeitspanne reicht vom August 2024 über den März dieses Jahres und schließlich bis zum 31. Juli 2025. Hinter den Schlagzeilen steht jeweils die SevenOne Media, der Werbevermarkter des TV-Konzerns ProSieben Sat 1. Die euphorisch kommunizierten Werbespots wurden gemeinsam mit einem Kunden sowie einer Media- und oder Werbeagentur entwickelt. Stopp. Nur in den ersten beiden Fällen war auch eine Agentur beteiligt. Den jüngsten KI-Spot setzte SevenOne ganz ohne Agenturzutat um. Und er zeigt auf, wohin die Reise geht. Allerdings führen diese Ausflüge auf dünnes Eis.
Die künstliche Intelligenz ist auch in der Werbung angekommen. Das steht außer Streit. Die KI eröffnet der Werbung völlig neue Möglichkeiten und sie bietet neue Spielwiesen (siehe oben). Samsung, Lacalut und Nobilis heißen die Kunden hinter den genannten „Premieren“ von SevenOne und ProSieben Sat 1. Wobei in dem großteils animierten Spot für Samsung (August 2024) die Erklär-Grafiken für einen neuen Kühlschrank und die Texte von einer KI generiert wurden, die Idee dazu von der Agentur Publicis Media und deren Unit Unlimited stammt.
„KI erweckt die gesamte Markengeschichte von Lacalut in einem emotionalen und fotorealistischen Spot zum Leben“, hieß es im März 2025. Zum 100 Jahr Jubiläum des Produkts wurde die KI nicht nur eingesetzt, um in einem durchaus emotionalen Spot die Markengeschichte der medizinischen Zahnpasta zu inszenieren. „Der KI-Spot markiert die Rückkehr von Lacalut auf die Sender von ProSiebenSat.1 nach mehreren Jahren“, frohlockte SevenOne per Aussendung. Auf Agenturseite waren Havas Media & Havas Play beteiligt.
Vor kurzem nun nobilia. Der „europäische Marktführer im Bereich Küchen“, so SevenOne, feiert „seine TV-Premiere mit einem komplett KI-generierten Spot, bei dem die KI statische Bilder zum Leben erweckt“ hat. Von einer Agenturbeteiligung ist in diesem Fall nicht mehr die Rede.
Aus Sicht des TV-Vermarkters ist es verständlich, dass er einerseits Kunden, die bisher nicht in seinem Werbeportfolio zu finden waren, als Neukunden anlockt. Und dazu neue, kostengünstige technische Systeme einsetzt. Zudem bleibt so ein weiterer Teil der Wertschöpfungskette bei den Sendern bzw. ihrem Vermarkter. Es werden nicht nur neue Werbebudgets ins Haus geholt, sondern davon auch noch ein möglichst großer Anteil. Auch die TV-Sender haben generell mit kleiner ausfallenden Stücken vom Werbekuchen zu kämpfen.
Andererseits tritt ein Sender, der die Entwicklung eines Werbespots selbst übernimmt oder an seinen Vermarkter auslagert, in direkte Konkurrenz zu den Agenturen. Von den Werbeagenturen stammen (noch) die kreativen Ideen und Umsetzungen für die überwiegende Mehrheit jener Spots, die in den TV-Programmen und den diversen anderen Plattformen, die mittlerweile auch zum Werbeinventar der Sender gehören, laufen. Mediaagenturen entscheiden noch weitgehend darüber, über welche medialen Kanäle Werbeauftritte ausgespielt werden. Die Hoheit über die Vergabe der großen Werbebudgets liegt damit – abgesehen von den jeweiligen Werbeauftraggebern – auf Agenturseite.
Für einen TV-Sender oder ‑Vermarkter und auch für jedes andere Medium ist es daher ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, mit eigenen Kreativleistungen die Agenturen zu konkurrenzieren, deren Auftragsvolumen zu schmälern oder ihn gar Kunden abzuluchsen, sie beim kreativen Prozess auszubooten. In Zeiten, als Werbung noch weitgehend auf die sogenannten klassischen Medien beschränkt war, scheiterte so manche Idee von der Inhouse-Agentur eines Medienhauses genau an dieser Konkurrenzsituation.
Doch die Zeiten, die Medienlandschaft und vor allem die Rahmenbedingungen für die Produktion und Schaltung von Werbung haben sich gewandelt. SevenOne Media kündigt bereits an, „mithilfe Künstlicher Intelligenz attraktive Sonderwerbeformen“ für weitere Kunden zu kreieren und umzusetzen.
Die Beobachter dürfen gespannt sein, ob es zu einem Machtkampf zwischen Medien und Agenturen kommt. Und wer bei einem solchen Kräftespiel um Einfluss (auf die Auftraggeber) und Geld als Sieger vom Feld geht.