Frau Gründel, das Motto der diesjährigen DMEXCO (17. und 18. September) lautet „Be bold. Move Forward.“ Was genau bedeutet diese Aufforderung für die Digitalmarketing-Branche im aktuellen geopolitischen und technologischen Kontext?
Verena Gründel: Wir haben uns sehr bewusst für dieses positive, ermutigende Motto entschieden, da wir eine gewisse Unruhe und Verunsicherung innerhalb der Branche bemerkt haben. Ich bin viel auf europäischen und internationalen Tech-Veranstaltungen unterwegs und weiß aus Gesprächen, dass die Situation auch für „gestandene“ Macher:innen herausfordernd ist. Als europäische Leitmesse der digitalen Marketingbranche betrachten wir es deshalb als unsere Aufgabe, Empfehlungen auszusprechen und damit Innovationen im Sinne der Unternehmen und der Branche voranzutreiben. Mut ist eine transformative Kraft – sowohl für Unternehmen als auch für jeden Einzelnen von uns. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass mutige Menschen gesünder, wirtschaftlich erfolgreicher und vor allem innovativer sind. Studien zeigen: In Krisenzeiten führen mutige Investitionen oft zu überproportionalen Marktgewinnen. Mutig zu sein, zahlt sich also in jeder Hinsicht und für jeden von uns aus.
Wo sehen Sie die DMEXCO im Gesamtkontext der Digital Marketing Community im DACH-Raum?
Gründel: Die DMEXCO ist seit mehr als 15 Jahren Europas führendes Businessevent für die Digitalmarketing-Branche. Wir verstehen uns als Community, zentraler Treffpunkt und Wissensplattform. Wir erreichen zwei Drittel Entscheider:innen vor Ort und einen C‑Level Anteil von 30 Prozent – perfekt geeignet, um Leads zu generieren, Partnerschaften aufzubauen und Geschäfte anzubahnen – und das bei minimalen Streuverlusten. Aussteller berichten von einem messbaren Return-on-Invest (RoI), insbesondere durch die hochkarätigen Gäste vor Ort. Mit unseren rund 800 Speaker:innenn der Conference definieren wir die digitale Agenda des kommenden Jahres. Es gibt schon beinahe so etwas wie eine Grundregel für Marketer: Wer sich über die wichtigsten Digitaltrends informieren möchte, neue Plattformen, Geschäftsmodelle und Player:innen kennenlernen und verstehen will, der kommt zu uns auf die DMEXCO nach Köln.
Künstliche Intelligenz ist ein zentrales Thema der DMEXCO 2025. Welche konkreten Anwendungsbeispiele sehen Sie bereits heute im Marketing – und wo steht die Branche Ihrer Meinung nach in zwei bis drei Jahren?
Gründel: Ich sehe KI im Marketing in sehr vielen Anwendungsfeldern. KI-gestützte Tools helfen beim Verfassen von Texten, Designen von Assets, Erstellen von Videos, Übersetzen, Draften, Targeting, der Erstellung dynamischer Creatives, bei Chatbots im Kundenservice oder der Personalisierung von Newslettern. Sie analysieren große Datenmengen, sagen Konsumverhalten voraus oder bauen virtuelle Influencer. Meine Einschätzung: Die meisten Marketer können ohne KI nicht mehr arbeiten. Ich zumindest kann es nicht mehr. Ich gehe davon aus, dass sich der Trend zu Personalisierung weiterentwickeln wird und KI noch präzisere Echtzeit-Anpassung und Ausspielung ermöglicht. Agenten werden die Kommunikation zwischen den zahlreichen Tools übernehmen und so Schnittstellen schaffen, die die Kommunikation vereinfachen wird. Die Creator Economy wird sich durch virtuelle Influencer und durch die neuen Möglichkeiten der Videogenerierung weiterentwickeln. Ich sehe auch die Möglichkeit der erweiterten Reality Experience, bei der KI in Verbindung mit Augmented Reality neue immersive Kundenerfahrungen schafft. Und schließlich müssen wir auch das Thema Ethik und Datenschutz mitdenken. Mit fortschreitender KI-Nutzung im Marketing wird die Branche stärker mit den Herausforderungen von Datenschutz und ethischen Richtlinien konfrontiert werden. Das erfordert neue Standards.
Sie sprechen von einer dynamischen Gemeinschaft auf der DMEXCO. Wie verändert sich das Networking und die Art der Zusammenarbeit in der Branche durch neue Technologien wie KI-Agenten und automatisierte Systeme?
Gründel: KI-Agenten bringen uns sicherlich eine Menge von Vorteilen: Angefangen beim effizienteren Matching und der Erstauswahl der Kontakte im Vorfeld. Dadurch vermeiden wir Streuverluste und weniger effiziente Gespräche. Auch automatisierte Follow-ups sind bei dem enormen Arbeitsaufkommen der meisten von uns eine sinnvolle Einrichtung und Erleichterung. Allerdings glaube ich nach wie, dass der persönliche Kontakt, der Austausch und die zufällige Begegnung durch nichts zu ersetzen sind. Gerade auf einer Networking-Plattform wie der DMEXCO bringt einen jedes Gespräch weiter, ist jeder Austausch eine sinnstiftende Erfahrung oder eben auch ein Learning. Ich persönlich liebe das Prinzip der Serendipität. Das kann keine KI ersetzen.
Themen wie Nachhaltigkeit und ethische KI-Nutzung gewinnen zunehmend an Bedeutung. Welche Entwicklungen sehen Sie im Bereich nachhaltiger KI-Infrastrukturen – und wie gehen führende Marken damit um?
Gründel: Die sehe ich vor allen Dingen im Bereich Energieeffizienz und Ressourcenschonung. Wir wissen, dass der Stromverbrauch unserer Branche sehr hoch ist. In Europa soll sich der Energiebedarf von Rechenzentren für KI-Anwendungen und andere Digitalisierungsprojekte laut einer McKinsey-Studie bis 2030 fast verdreifachen. Ein Anstieg von zwei auf etwa fünf Prozent des gesamten Strombedarfs. Gegenmittel sind sparsamerere Hardware, innovative Flüssigkühlsysteme und effizientere KI-Trainingsmethoden. Vor allem aber stammt ein Großteil des Stroms für Rechenzentren noch aus fossilen Brennstoffen. Hier sollte dringend auf erneuerbare Energie umgestellt werden.
Die Digitalisierung des Markenaufbaus schreitet rasant voran – sei es über CTV, DOOH oder Retail Media. Welche Kanäle erleben aktuell den größten Innovationsschub, und was sollten Marken beachten, um relevant zu bleiben?
Gründel: Die größten Wachstumszahlen sehen wir aktuell in den Kanälen CTV, DOOH und Retail Media, aber auch die Budgets für Digital Audio, oder Social Media wachsen weiterhin stark. Für Werbetreibende und Marken ist es entscheidend, die Plattformen auszuwählen, die am besten zu ihrer Markenstrategie und ihrem Budget passen und ihre Zielgruppe am effektivsten ansprechen. Eine datengestütze Analyse hilft bei dieser Entscheidung. Aber nicht nur der Kanal entscheidet über Relevanz, sondern vor allem auch Haltung. Konsistenz und Botschaft, also Creative. Ich kann hier nur empfehlen, auch mal mutig zu sein, aufzufallen, natürlich immer im Sinne der Marke. Ansonsten werden Marken es angesichts der unzähligen Botschaften, die täglich auf uns einprasseln, schwer haben.
Auf welche Top Speaker dürfen sich die DMEXCO-TeilnehmerInnen heuer freuen?
Gründel: Wir haben dieses Jahr wieder wirklich tolle Gäste aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich darf Ihnen schon jetzt ein paar Namen nennen, auf die ich sehr stolz bin: Besonders gefreut habe ich mich auf die Zusage von Jennifer Treiber-Ruckenbrod (Global CMO von MINI), Mona Roberts (Marketing Director von Primark) und Alma Lipa (Marketing Director Consumer Products Division von L’Oréal). Aber auch Patrick Müller (CMO & Chief E‑Commerce Officer von Decathlon Deutschland), Sascha Lobo (Autor und Podcaster), Rezo (Founder von Nindo), Jean-Remy von Matt (Founder Jung von Matt) und Carsten Maschmeyer (CEO der Maschmeyer Group). Da wir insgesamt 16 Stages bespielen, werden noch ein paar hinzukommen. Es sind nicht nur die Branchen-Stars, die die DMEXCO bereichern. Oft sind es gerade auch weniger bekannte Expertinnen und Experten, die mit tiefem Fachwissen begeistern. Eines ist sicher: Da wir die gesamte Branche thematisch abdecken, wird für wirklich jeden Gast das Richtige dabei sein.
Abschließend: Was ist für Sie persönlich das mutigste Projekt oder die spannendste Innovation, die uns auf der diesjährigen DMEXCO erwarten wird – und warum?
Gründel: Das ist eine wunderbare Frage – und tatsächlich eine der wenigen, bei der ich mir gerne ein bisschen Restüberraschung bewahre. Es sind noch einige Monate bis zur DMEXCO, und wir sprechen mit vielen spannenden Partnern, deren Projekte und Innovationen gerade erst Form annehmen. Was ich aber jetzt schon sagen kann: Das Motto ‘Be Bold. Move Forward.’ ist kein Lippenbekenntnis – es wird auf allen Ebenen spürbar sein. Und ganz ehrlich: Ich freue mich auch selbst darauf, mich überraschen zu lassen.