Zum dritten Mal ging am 30. August 2023 der Programmatic Day des interactive advertising bureau (iab austria) über die Bühne. Für das geballte Programm im restlos ausverkauften Dachsaal der Wiener Urania zeichneten Philip Miro (ORF-Enterprise) und Christoph Truppe (Adverserve) verantwortlich. Drei Podiumsdiskussionen, eine Keynote von Reemda Tieben (Google) und elf Elevator Pitches zeichnen ein vollständiges Bild des Status quo der programmatischen Werbung und blicken in die Zukunft. Ein starker Fokus liegt unter den internationalen Experten auf Digital Out of Home und Connected TV. Der gemeinsame Tenor lautet, sich jetzt mit der cookiefreien Zukunft zu beschäftigen, zu experimentieren und Lösungen zu testen.
„Vor zehn Jahren wurde Realtime Advertising erstmals medial in Österreich diskutiert. Enthusiasmus der Befürworter und Misstrauen der Gegner sind seither unverändert groß, auch wenn sich die Begrifflichkeiten etwas geändert haben“, begrüßt Christoph Truppe (Adverserve) zum dritten iab Programmatic Day in der Wiener Urania. „Programmatic Advertising ist ein wesentliches und vielfältiges Thema, um den österreichischen Digitalmarkt im globalen Wettbewerb voranzubringen. Wir stehen kurz vor dem Wegfall der Third Party Cookies, womit wirklich alle Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger gefordert sind, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Schon jetzt sind über 50 Prozent des Internet Traffics über Third Party Cookies nicht mehr targetbar“, hält Andreas Grasel (Adform) als Hauptsponsor des iab Programmatic Day fest.
KI und menschliche Intelligenz steigern zusammen die Performance
Google schätzt Künstliche Intelligenz nach der Einführung des Internets und Mobile für den dritten großen Veränderungsschritt in den vergangenen 30 Jahren ein, der einen ähnlichen Einfluss wie die industrielle Revolution haben wird. Die Alphabet-Tochter hat eigene KI-Prinzipien erstellt, um verantwortungsvolle und ethisch vertretbare Technologien zu entwickeln, die von allen nutzbar sind. Google verfolgt beispielsweise Projekte mit den Vereinten Nationen, um Heuschreckenplagen in Afrika vorherzusagen, oder zur Früherkennung von Brustkrebs im Bereich der Gesundheitsvorsorge. In Google Maps wird auf Basis von Künstlicher Intelligenz die treibstoffärmste und klimafreundlichste Route angezeigt, um Mobilitätsemissionen zu reduzieren.
Large Language Models und generative KI eignen sich zur Interaktion mit Kunden und sind durch große Datenmengen vortrainiert. Zudem können sie auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnitten werden. Laut McKinsey verzeichnen 70 Prozent der Unternehmen, die KI einsetzen, Umsatzsteigerungen und 28 Prozent berichten von Einsparungsmöglichkeiten.
Reemda Tieben von Google Hamburg unterschiedet in ihrer Keynote zwischen Embedded AI, die in die Systeme integriert ist, und meist cloudbasierter Applied AI zur Steigerung der Kunden-Insights: „KI-Lösungen sind wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Sie müssen engagiert werden, lernen und brauchen Ziele“, meint Tieben. „Marketerinnen und Marketer führen die Künstliche Intelligenz, die sie in die Lage versetzt, bessere Ergebnisse zu erzielen.“
Laut einer Studie der Boston Consulting Group liefern Marketingkampagnen mit Einbindung von Künstlicher Intelligenz um 20 Prozent bessere Ergebnisse. Tieben empfiehlt, die Beziehung zu Kunden zu vertiefen, um bessere Daten zu gewinnen, anhand derer die Künstliche Intelligenz trainiert werden kann. 71 Prozent der User kaufen lieber Marken, die ehrlich kommunizieren, warum sie welche Daten sammeln, ergibt eine gemeinsame Studie von Google und Ipsos. Das Vertrauen der User kann dadurch erhöht werden, indem sie gefragt werden, wie oft sie an ihre Privacy Settings erinnert werden wollen. Auch eine Zusammenfassung der gewählten Einstellungen per E‑Mail stärkt das Vertrauen. Der Datenschutz soll möglichst einfach verständlich kommuniziert werden und durch die User leicht kontrollierbar sein, um den gestiegenen Erwartungen der User zu entsprechen.
Die Conversion-Messung wird zunehmend komplexer: In Deutschland sind rund 37 Prozent des Traffics aufgrund des nicht gegebenen Consents nicht mehr messbar. Weitere 51 Prozent der Third Party Cookies werden direkt von den Browsern geblockt. „Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hilft, Datenlücken zu schließen“, sagt Tieben. Der steigende Kostendruck macht es Werbetreibenden nicht mehr möglich, auf der gesamten Customer Journey eines Users präsent zu sein. Aufgrund bestehender Verhalten analysiert Künstliche Intelligenz im Smart-Bidding-Prozess, wann Conversions ausgelöst werden können. Mit dem Tool Enhanced Conversions können Conversions trotz Ad Blocker gemessen werden, woraus die Künstliche Intelligenz die richtigen Schlüsse aus dem Verhalten für das Smart Bidding zieht. Durch den Consent Mode können durch ausgebliebenen Consent verlorene Conversions für das Training des Smart Bidding modelliert werden. Tieben geht davon aus, dass der Modellierungsanteil bei der Messung von Conversions zunehmen wird, weil Identifikatoren weiter abnehmen werden. In die Parameter für das Smart Bidding können auch Einkaufswerte hinterlegt werden, um werthaltige Kunden gezielt anzusprechen. Google Analytics liefert durch die Modellierung bereits Vorschau-Daten auf potenzielle Käufer, woraus Zielgruppen für Kampagnen definiert werden können.
Menschliche Stärken sieht Tieben bei der Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz in der Entwicklung der Marketingstrategie, Zielsetzung, Kreation, dem Management von First Party Data, dem Experimentieren und der Evaluierung der Effektivität von Marketingmaßnahmen.
Classic goes Programmatic: Gamechanger für klassische Medien?
Moderiert von Jürgen Stecher (IPG Mediabrands), diskutieren Elisabeth Strutz (Billa),Christoph Kellner (Mediaplus), Michael Fritz (Wall Decaux), Thomas Urban (Digitalisten) und Walter Zinggl (IP Österreich und Sprecher von Screenforce Österreich) im ersten Panel des Programmatic Day über die Möglichkeiten von programmatischer Werbung, zum Gamechanger für klassische Medien zu werden.
Im Programmatic Digital Out of Home übernimmt Wall Decaux seit 2019 in Deutschland eine internationale Führungsrolle innerhalb des Konzerns JC Decaux. Österreich verfügt über eine deutlich bessere Datenlage als die anderen deutschsprachigen Märkte, wodurch sich das Beste aus beiden Welten optimal kombinieren lässt: hohe Reichweite und präzises Targeting. In Deutschland wird bei Digital Out of Home im kommenden Jahr bereits ein programmatischer Anteil von 50 Prozent erwartet. Um maximale Reichweite in der Außenwerbung zu erreichen, empfiehlt Fritz nach wie vor die konventionelle Buchung. „Für Mediaplanerinnen und Mediaplaner kann es durchaus spannend sein, alle Kanäle über eine Plattform zu buchen und die Effizienz in der Abwicklung zu steigern“, erklärt Fritz.
„Effizienz kommt aus Daten“, betont Urban und geht damit auf den großen Vorteil von programmatischer Werbung ein, der Geschwindigkeit ermöglicht. Nicht immer ist Programmatic aufgrund der hohen Tech Fees die bessere Alternative, wenn es zum Beispiel um die Fixbelegung einer Startseite geht. Für Publisher macht es wenig Sinn, das gesamte Inventar programmatisch zu verkaufen. Er entscheidet zwischen Data for Insights und Data for Action. Data for Insights bieten großes Potenzial, um die Qualität programmatischer Kampagnen weiter zu erhöhen.
In den USA werden von der Group M nur 15 Prozent der nicht linearen TV-Umsätze programmatisch gebucht, berichtet Zinggl aus einem der größten Werbemärkte der Welt. Stark sinkende TKPs verlagern zu automatisierten Buchungen, weil die Kampagnensteuerung durch Menschen nicht mehr rentabel ist. Die hohe Nachfrage nach Connected TV begründet sich durch die überdurchschnittlich hohe Werbewirkung von TV am großen Screen. Im klassischen Live TV sieht Zinggl wenig Bedarf für programmatische Buchungen, da das Inventar durch konventionelle Buchungen ausgelastet ist. Vor geschlossenen Systemen der globalen Player warnt Zinggl, zumal sie keine transparenten Auditierungsmöglichkeiten bieten. Mit „TV-LOAD“ wird in Österreich jedoch eine Weltpremiere zur Echtzeitoptimierung von TV-Werbeblöcken lanciert, die durch die Kombination von Return Path Data und Daten aus dem Teletest 2.0 ermöglicht wird. „Konsumentinnen und Konsumenten wollen Content und Markenerlebnisse; sie interessieren sich nicht dafür, wie Werbung gebucht wird. Broadcaster werden Werbetreibenden weiterhin den wirksamen Zugang zu ihrer Zielgruppe im aufmerksamkeitsstarken Umfeld der unterschiedlichen Screens bieten“, betont Zinggl.
Für Wachstum brauche es sowohl gemeinsame technische als auch methodische Standards, meint Kellner. Um Konsumenten ein Markenerlebnis zu bieten, müssen Agenturen, Medien und Vermarkter an einem Strang ziehen und sich auf eine einheitliche Sprache verständigen. Durch die steigende Vielfalt am Medienmarkt und die zunehmende Komplexität sieht er Vermarkter, technische Dienstleister und Agenturen gefordert, um Auftraggeber im Change-Prozess zu begleiten und kompetentes Personal aufzubauen. Strutz wünscht sich mehr programmatische Entwicklung in allen Mediengattungen und gemeinsame Bestrebungen von Auftraggebern, Medien, Agenturen und Vermarktern. Sie weist auf die Notwendigkeit hin, auch ältere Konsumenten über klassische Kanäle zu erreichen, die ihrer Mediennutzung entsprechen.
Mit Optimismus neue Datenstrategien umsetzen
Der Frage „Daten können das, oder?“ gingen im zweiten Panel des Programmatic Day mit Lisa Weichselbaum (e‑dialog), Laura Kaltenbrunner (Apocrat), Ivan Markovic (Adverserve), Bettina Schatz(Willhaben), Christoph Gabriel (Mediamarkt) und Pauline Schreuder (Raiffeisen Digital Bank) nach und sprachen über gesellschaftliche, juristische und technologische Aspekte.
Es brauche ein rechtliches und technologisches Grundverständnis für den Umgang mit Daten aufgrund der dynamischen Rechtslage, berichtet Schatz aus dem Alltag. Die Datenstrategie sollte ihrer Meinung nach ein C‑Level-Thema sein, um rechtzeitig auf neue juristische Entwicklungen zu reagieren. Kollaboration wird ein entscheidender Erfolgsfaktor sein, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen und mit geänderten Rahmenbedingungen umzugehen. Durch die steigende Daten- und Targetingqualität wären auch wieder steigende TKPs möglich, blickt Schatz optimistisch in die Zukunft.
Die technologischen Herausforderungen, beispielsweise auf Browserebene, übersteigen für Markovic derzeit die juristische Komplexität. Markovic unterstreicht, dass die Datenstrategie dem Unternehmensziel folgen muss. Die Sicherheit der First Party Data stellt zusätzliche Ansprüche an Werbetreibende. Großes Potenzial sieht Markovic in Data Clean Rooms, um beispielsweise Datensegmente auf Publisher-Seite zu identifizieren. „Jetzt ist der richtige Moment, um mit Data Clean Rooms zu experimentieren und sich mit den neuen technischen Möglichkeiten vertraut zu machen. Ansonsten kann es zu Entscheidungen unter Zugzwang kommen, wenn die Zeit drängt“, warnt Markovic. Er ergänzt: „Weitere Blockings sind wahrscheinlich. Apple verfolgt bereits die Strategie, externe Tracking komplett zu verhindern.“
Der politische Wunsch, User möglichst detailliert über die Nutzung ihrer Daten zu informieren, trägt zu einer zunehmenden Unsicherheit bei, die zu einer steigenden Differenzierung zwischen Usern führt, die möglichst wenig Daten teilen möchten und jenen, die dem Umgang mit ihren Daten sorgenfrei gegenüberstehen. Neue Verordnungen wie der Data Act und Data Governance Act werden die Voraussetzungen schaffen, um Daten zu teilen und sollten frühzeitig behandelt werden. „Es braucht eine transparente und verständliche Erklärung, warum Daten zum Funktionieren von Services benötigt werden. Google Maps kann beispielsweise nur einen Weg anzeigen, wenn es auf den eigenen Standort zugreift“, bringt Kaltenbrunner ein Beispiel aus der Praxis.
Mediamarkt versucht, Usern relevante Werbung auszuspielen. Oft fehlt jedoch das richtige Tool, um alle Datensätze zu verknüpfen und nur die passende Werbung auszuliefern. Multinationale Unternehmen stehen vor größeren Herausforderungen, zumal der Umgang mit Datenstrategien auch innerhalb der europäischen Länder variiert. „Es ist zu begrüßen, wenn Schülerinnen und Schüler bereits über die Bedeutung von Daten und den Umgang damit lernen. User sollen mehr auf die Vorteile des Einsatzes von Daten sensibilisiert werden“, sagt Gabriel.
Besonders hohe Transparenz wird im Bankensektor verlangt. Synthetische User stellen eine Möglichkeit dar, um das Digitalmarketing effizienter zu gestalten. Das Erfordernis der Zwei-Faktor-Authentifizierung im Onboarding neuer Kunden zwingt dazu, auf die wesentlichen Daten zu fokussieren.
Zukunft der programmatischen Werbung: Transparenz als Muss
Einen Blick in die Zukunft warfen im dritten von drei Panels des Programmatic Day mit Lucas Schärf (Connect Ad) Karin Fauland(Engage Datasolution), Kamil Friebel (Splicky), Niklas Kollat (The Trade Desk), Norbert Mach (Corestad), Meinolf Meyer (Google) und Rafael Müller (Dreifive). „Digital Out of Home und Connected TV sind die absoluten Wachstumstreiber. Während Covid-19 sind die Umsätze der Publisher gestiegen. Seit Anfang des Jahres sehen wir auch eine entgegengesetzte Entwicklung: Die großen Ad-Tech-Anbieter haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freigesetzt und eine führende Demand Side Plattform ging Pleite“, fasst Friebel den Status quo zusammen.
Fauland vermisst von den Publishern eine klare Strategie im Premium-Content-Bereich vor dem Hintergrund der sinkenden Reichweiten seit Ende der Pandemie. Demand Side Plattforms kommen mit exklusivem Inventar auf den Markt, wodurch Werbetreibende erneut mit einem fragmentierten Angebot konfrontiert sind. Den ganz großen Umbruch sieht die Engage-Datasolution-Gründerin nicht kommen, da schon viel Vorarbeit geleistet wurde. Private Deals sieht Fauland eher skeptisch, da auf Publisher-Seite in vielen Fällen noch nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen sind.
Auch Meyer sieht die Branche vor großen Veränderungen, da immer neue Player auf den Markt kommen. Das Vertrauen der User in den Umgang mit Daten wird künftig noch essenzieller sein, um effektive Werbung auszuspielen.
Kollat sieht die Big Player – Google, Amazon und The Trade Desk – auch künftig als bestimmende Größe am Markt. Er geht davon aus, dass sich Nischenplayer durchsetzen werden und mittelgroße Anbieter durch die hohen Kosten des Tech Stacks vor einer schwierigen Situation stehen. Transparenz ist für ihn das essenzielle Thema. Kollat appelliert an die Sell Side, die Qualität ihres Inventars korrekt zu kommunizieren. Kollaboration wird Mehrwert für das gesamte Ökosystem schaffen.
Als „entspannt bis leicht angespannt“ schätzt Friebel die Lage in den nächsten Monaten ein. Er bezeichnet Programmatic Advertising als Form des Darwinismus, in dem man sich die richtige Nische zum Überleben suchen muss. Auch er fordert absolute Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette und erinnert mahnend an die Intransparenz im Affiliate Marketing. Friebel würde es sehr begrüßen, wenn mehr Netzwerke in den Open Market gehen – vor allem Anbieter von Digital Out of Home, die derzeit fast nur über Private Deals buchbar sind. Er rät dem österreichischen Markt dazu, sich mehr zu trauen. Im deutschsprachigen Raum schätzt er Österreich als eher zurückhaltend und vorsichtig ein.
Müller findet den Dialog mit Kunden essenziell, um das Know-how zu steigern und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Dreifive wird auch künftig auf den Open Market setzen.
„Die Datenqualität wird mit dem Wegfall der Cookies rasant auf den Boden fallen“, sagt Mach voraus. Er geht davon aus, dass kontextbasiertes Targeting und Keyword-Targeting mittelfristig eine Renaissance erleben werden. Agenturen prophezeit er ein Rechtfertigungsproblem durch geringere Messbarkeit und empfiehlt, Measurement serverseitig umzusetzen. Mit der Fehleinschätzung sollte möglichst schnell aufgeräumt werden, dass in jedem Kanal Performance umsetzbar ist. Positive Auswirkungen auf die Performance verspricht er sich jedoch durch Investitionen in die Kreation.
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