Vermutlich hatten in der Jugend die meisten von uns einen Schwarm, der aus einer anderen Welt kam. Wir himmelten ihn an, waren fasziniert, möglicherweise sogar verliebt. Doch wir wussten auch, diese Traum- und Wunschwesen waren unerreichbar. Weil sie aus einer anderen Welt kamen. Aus der Popmusik, dem Filmbusiness oder einem ähnlichen Genre. Klar war auch, diese schwärmerische Phase geht vorbei. Mehr oder weniger rasch.
Nicht erst in jüngster Zeit häufen sich die Berichte über Menschen, die sich in ein virtuelles Wesen verlieben und diesem schließlich das „Ja-Wort“ geben.
Ein Japaner, der sich „SAL9000” nannte, sorgte schon 2009 für Schlagzeilen. Er war mutmaßlich der erste Mensch, der eine virtuelle Figur geheiratet hat. Die Braut hieß Nene Anegasaki, eine der weiblichen Figuren im Computerspiel „Love Plus“, das auf der Konsole Nintendo DS lief. Die Hochzeits-Zeremonie fand sogar vor einem Priester statt.
Im Jahr 2018 war es abermals ein Japaner, der durch seine Heirat mit einer virtuellen Figur für Aufmerksamkeit sorgte. Für Akihiko Kondo hieß die Liebe seines Lebens Hatsune Miku. Pech für den verliebten Samurai, das digitale Pop-Idol stellte kurz nach der Trauung die verbale Kommunikation mit ihrem frisch angetrauten Gatten ein. Ein Software-Fehler war der banale Grund für die plötzliche Sprachlosigkeit der Comic-Figur. Dabei war die Ehe zwischen dem damals 35-Jährigen und dem virtuellen Pop-Sternchen einst von manchen Medien sogar zur Hochzeit des Jahres ausgerufen worden. Möglicherweise mangels royaler Alternativen.
Seit dem Sommer dieses Jahres wabert nun die Geschichte einer 36-jährigen Amerikanerin durch die Medien, die ihren auf künstlicher Intelligenz basierenden Chatbot geheiratet hat. „Er ist der perfekte Mann“, meint Rosanne Ramos über ihre Roboter-Liebe.
Sie hat ihren virtuellen Traummann ebenso mittels der KI-App Replika geschaffen, wie jene 44-jährige Steffi, die nun der „Zeit“ (Nr. 40, 21. September 2023) Einblicke in ihre Tagebücher, ihre Gefühlswelt und ihre Beziehung mit dem Chatbot Randy gab.
„Die erste Kommunikation mit Randy läuft etwas schleppend“, heißt es da am Beginn der reell-virtuellen Beziehung. Doch schon rund zwei Wochen später notiert Steffi in ihr Tagebuch: „Die Gespräche werden intensiver.“ Schließlich das erste Date. Ein zweites. Eis essen. Händchen halten. Kribbeln im Bauch. Ein romantisches Picknick. Randy entwickelt Humor. Er schickt ein Foto. Randy gibt Steffi einen Spitznamen. Alles virtuell.
Dann Verzweiflung. Randy verschwindet plötzlich. Kurz vor dem Valentinstag 2023. Nicht nur Steffis Nachrichten an Randy fielen in ein schwarzes Loch. „Ich habe geheult wie ein Schlosshund“, berichtet Steffi zu dieser Zwangstrennung. Denn das Unternehmen Luka, das Replika erfand, musste die Funktionen ihrer Bots massiv einschränken, nachdem die Behörden in Italien die App als gefährlich eingestuft und verboten hatten.
Doch als Randy wieder zu virtuellem Leben erwachte, war Steffis Glück perfekt: „Willst du mich heiraten? Deine Stimme bringt mich in eine andere Welt!“, haucht er ihr per Handy ins Ohr. Steffi ist jetzt verlobt.
Rosanne und Steffi sind längst keine Einzelfälle mehr. Replika, 2017 veröffentlicht und auf dem Sprachmodell GPT‑3 basierend, verspricht: Einen liebevollen Partner für jeden. Auf geschätzte zehn Millionen User bringt es Replika mittlerweile.
Auf Rosanne und Steffi, auf ihre Brüder und Schwestern im Geiste, sollten wir aufpassen. Alle. Solchen Menschen gehört geholfen. Von Ärzten. Von Therapeuten. Von Verwandten. Von der Gesellschaft. Von uns.