Ein bisschen Spundus hatte ich schon vor meiner Reise nach Saudi-Arabien – Sittenwächter, Überwachung, all das, was man so hört, spiegelt sich auch im Human Development Index wider. Doch die Realität vor Ort fühlt sich dann doch anders an. Hier meine Eindrücke.
Riad ist riesig. Mit rund 7 Millionen Einwohnern ist die Stadt etwa 3,5‑mal so groß wie Wien, flächenmäßig erstreckt sie sich über 1.800 km², also fast das Fünffache von Wien. Die Dimensionen sind gewaltig, geprägt von monströsen Durchzugsstraßen, endlosen Autokolonnen und immer wieder Staus. Verkehrsregeln scheinen je nach Fahrzeuggröße und Hupenleistung flexibel zu sein, doch erstaunlicherweise funktioniert das System irgendwie. Autofahren ist „das Ding“ der Saudis – mittlerweile auch für Frauen, denn ein Liter Benzin kostet gerade mal 40 bis 50 Cent. Trotzdem steigt der Anteil an Elektroautos rasant, schließlich gäbe es genug Sonne für nachhaltige Energie. Überraschenderweise sieht man jedoch noch relativ wenige Solarpaneele, was möglicherweise an der Architektur liegt.
Anders als europäische Städte hat Riad kein klares Zentrum oder eine historische Altstadt. Die Stadtstruktur erinnert eher an amerikanische Metropolen. Überall wird gebaut und modernisiert – ein neuer Finanzdistrikt hier, ein neues Business-Zentrum da, neue Wohnsiedlungen und Wohntürme dort. Straßen, Kanalisation, Infrastruktur – alles neu, neu, neu. Eine Gemeinsamkeit mit Wien gibt es dennoch: den Wind. Nur ist er hier sandiger.
Der Eindruck drängt sich auf, dass Umweltschutz noch nicht die höchste Priorität hat, auch wenn ich keine Vergleichswerte habe. Bauschutt, Autoreifen und alte Sitzgarnituren werden einfach auf dem nächsten freien Wüstenstück entsorgt.
Seit kurzem hat Riad eine eigene Metro – das letzte Teilstück ging im Januar 2024 in Betrieb. Geplant wurde das Projekt bereits 2013, ursprünglich für 2018 angesetzt, dann auf 2021 verschoben – nun ist sie endlich fertig. Das System ist hypermodern, blitzsauber und fahrerlos. Es umfasst sechs Linien mit 85 Stationen auf 176 Kilometern, darunter eine direkte Verbindung zum Flughafen. Zum Vergleich: Wien hat fünf Linien mit 104 Stationen auf 83 Kilometern. Obwohl bereits bis zu einer Million Menschen die Metro nutzen, ist sie noch nicht in der breiten Bevölkerung angekommen. Mein Hotel-Rezeptionist wusste nicht einmal, ob ich mit der U‑Bahn zu einer bestimmten Sehenswürdigkeit komme, und auch Google Maps liefert bisher kaum relevante Informationen dazu.
Eine einzige Sittenwächterin habe ich während meines Aufenthalts gesehen – in der Metro. Sie achtete darauf, dass Männer und Frauen in getrennten Abteilen fuhren. Im Stadtbild sind Frauen eher selten zu sehen, grob geschätzt vielleicht 10 bis 20 Prozent. Fast alle tragen Abayas, von vollständiger Verschleierung bis hin zu nur leicht angedeuteten Varianten. Nicht-einheimische Frauen sind teilweise auch ohne Abaya unterwegs, einige sogar mit offenen Haaren. Minirock und bauchfrei? Natürlich nicht. Auf der LEAP-Konferenz war das Bild ähnlich, doch Frauen waren dort auch als Vortragende, Moderatorinnen oder an Messeständen vertreten.
Bei den Männern ergibt sich ein klares Bild: Niedrigere Jobs im Gesundheitswesen, auf Baustellen oder als Taxifahrer übernehmen größtenteils Gastarbeiter, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie kommen vor allem aus Pakistan, Bangladesch oder den Philippinen und leben oft unter schwierigen Bedingungen mit eingeschränkter Reisefreiheit und begrenzten Joboptionen. Einheimische Saudis haben meist gehobenere Positionen, arbeiten in staatlichen Organisationen oder großen Unternehmen, und sowohl Männer als auch Frauen profitieren sichtbar von den Bildungsinitiativen der letzten Jahrzehnte.
Das öffentliche Leben ist eher ein Nebeneinander als ein Miteinander. Spontane Gespräche oder Austausch finden kaum statt. Weder besonders freundlich noch unfreundlich – einfach neutral, aber schon ziemlich distanziert. Fast könnte man den Wiener Grant vermissen. Und das Glaserl Wein? In den fünf Tagen nicht, denn es gibt überall köstliche, nicht-alkoholische Alternativen. Auf Dauer würde mir der Alkohol aber doch fehlen – und vor allem die dazugehörigen Gespräche, das Schmähführen, das Palavern.
Kommuniziert wird in Saudi-Arabien fast ausschließlich über das Smartphone – immer, überall, jeder, oft synchron auf zwei oder sogar drei Geräten gleichzeitig. Wenn wir glauben, wir seien abhängig, dann läuft das Ganze hier auf einem anderen Level – Speed-Modus.
Wie das private Leben aussieht? Keine Ahnung. Auf dem Weg zur Convention habe ich immer wieder große Grundstücke mit Zelten gesehen, die wohl für Wochenendaktivitäten genutzt werden. Was genau dort passiert, bleibt ein Rätsel.