Am 5. Oktober findet zum ersten Mal die „ForumF Konferenz – Finance Marketing Benchmark 2021: Transformation, Disruption, Innovation“ in Wien statt. Was erwarten Sie sich persönlich von der Fachkonferenz?
Michael Brandtner: Neues Wissen und vor allem Impulse! Gerade in Zeiten von Innovation, Disruption und Transformation sollte der eine vom anderen lernen. Das gilt nicht nur innerhalb von Branchen, sondern auch zwischen Branchen. So kann man speziell, wenn es um Disruption und Transformation geht, sehr viel von anderen Branchen lernen. Das heißt: Die besten Ideen findet man oft nicht innerhalb der eigenen Branche, sondern in anderen Branchen. Natürlich geht es dann darum, wie man das Gelernte auf die eigene Branche, das eigene Geschäftsmodell und die eigene Marke bestmöglich übertragen kann.
Sie werden die Afternoon Keynote „New Branding – Von der Massen‐ zur Relevanzmarke“ halten. Was dürfen sich die Konferenzteilnehmer von Ihrem Auftritt erwarten?
Brandtner: Ich denke, es sind vor allem folgende zwei Kernpunkte:
- Wir begeben uns aktuell durch das Internet in eine neue Ära des Wettbewerbs, indem vor allem das Thema „relative Relevanz“ für Marken enorm an Bedeutung gewinnt und gewinnen wird. So werden wir immer öfter erleben, dass nationale Massenmarken im Wettbewerb auf globale Mikromarken treffen werden.
- Darauf aufbauend, werde ich fünf Schlüsselprinzipen, die man heute – in diesem Umfeld – unbedingt bei der Markenführung beachten sollte, präsentieren. Diese sind a) Kategorie schlägt Marke, b) Community schlägt Land, c) Einfachheit schlägt Komplexität, d) Nachricht schlägt Werbung und e) Gegenwart schlägt Zukunft.
Welche Key Learnings werden die Konferenzteilnehmer aus Ihrer Afternoon Keynote mitnehmen können?
Brandtner: Ich denke, dass es drei zentrale Key‐Learnings sind:
- Das Internet ist mehr als nur ein weiteres Massenmedium, denn es unterscheidet sich durch drei Punkte von allen bisherigen Massenmedien: a) Es ist das erste interaktive Massenmedium, b) es ist ein globales Massenmedium ohne Grenzen und es ist c) die Basis für unzählige neue vor allem auch globale Geschäftsmodelle und Marken. Dabei werden dann, wie bereits kurz erwähnt, immer öfter auch nationale Marken im Wettbewerb mit globalen meist enger fokussierten Konkurrenten stehen. Nehmen Sie Fernsehen! Früher kämpften meist nationale Fernsehsender um die Gunst der Kunden. Heute stehen diese auf einmal im Wettbewerb mit Netflix, Amazon Prime, Disney+, YouTube und zudem in Spezialsegmenten etwa mit Vloggern und Influencern. Kämpften früher nationale und regionale Radiosender um die Gunst der Hörer, steht man jetzt im Wettbewerb mit Spotify und Co.. Kämpften früher regionale und nationale Banken um Privatkunden, steht man jetzt auf einmal zusätzlich im Wettbewerb mit N26, Monzo, Revolut oder Starling.
- Relevanz wird für Marken ein essentieller Wettbewerbsfaktor. Hatten wir früher – salopp formuliert – einen Wettbewerb um das Geld in den Brieftaschen der Konsumenten, haben wir heute verstärkt einen Wettbewerb auch um die Zeit der Konsumenten. So ist das Internet der größte „Zeiträuber“ aller Zeiten. Übertrieben formuliert kann man sagen, dass das 20. Jahrhundert die Ära des Fernsehens, also der seichten Unterhaltung und der „seichten Massenmarken“ war, während das 21. Jahrhundert die Ära des Internets, also der Relevanz und damit der relevanten Mikromarken wird. Damit stehen etablierten Marktführern oft auch neue Konkurrenten mit komplett neuen Geschäftsmodellen gegenüber. Im Bereich der Kosmetik wird der weltweite Marktanteil von Mikromarken bereits auf um oder mehr als 40 Prozent geschätzt. Hatte Gillette früher über Jahrzehnte um die 70 Prozent Marktanteil in den USA, ist dieser jetzt dank neuen Internet‐Abo‐Modellen wie Dollar Shave Club oder Harry’s auf 50 Prozent gefallen.
- Wir müssen Markenführung in Zukunft noch sehr viel stärker als interaktiven Prozess sehen. Dabei geht es oft auch darum, dass man sich von einer Erfolgsposition zur nächsten bewegt. Nehmen Sie Facebook. Zu Beginn war Facebook das Soziale Netzwerk nur für Harvard, dann für die Ivy League, dann für amerikanische Universitäten, dann für Universitäten generell und dann für alle. Facebook wuchs von einer Marktführerposition zur nächsten. So entstanden und entstehen viele neue Marken auch aus Communities heraus. Das ist ideal für clevere Start‐up‐Unternehmen. Das ist oft schwierig für etablierte Marken, weil es diese nicht gewohnt sind, in Communities und in interaktiven Markenprozessen zu denken.
Auch das Finanzmarketing hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt: Was fasziniert Sie an den neuen digitalen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen im Finanzmarketing am meisten?
Brandtner: Dazu sollte man klar zwischen operativen Veränderungen und strategischen Veränderungen unterscheiden. Operativ geht es darum, dass man die neuen digitalen Möglichkeiten nutzt, um neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden optimal zu managen. Strategisch gesehen geht es darum, wie man mit neuen Geschäftsmodellen umgeht, die unter Umständen auch eine Gefahr für das eigene bestehende Geschäftsmodell sind. Da geht es wirklich um das Thema Disruption. Das heißt: Hier geht es um die berühmten Fintechs, egal ob neue digitale Banken oder Bezahlmodelle, um digitale Währungen wie den Bitcoin oder auch „nur“ um Vergleichsportale. Auch diese schaffen eine neue Wettbewerbssituation bei Finanzprodukten. Während es so aus operativer Sicht darum geht, neue digitale Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen, wird es aus strategischer Sicht extrem spannend, wie diese neuen digitalen Geschäftsmodelle und Marken generell die Finanzwelt international und national verändern werden.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Missverständnis in Zusammenhang mit digitalem Marketing?
Brandtner: Ich möchte nicht von einem Missverständnis, sondern eher von einer Gefahr sprechen. Die größte Gefahr ist, dass man zu operativ denkt, dass man also zu sehr in kurzfristigen Zahlen und Erfolgen denkt. Anders ausgedrückt: Hier besteht die Gefahr, dass man vor lauter Zahlen die langfristige Perspektive und damit die Marke in Summe vernachlässigt. Speziell vorsichtig sollte man mit übertriebener „Zielgruppenoptimierung“ sein, denn hier kann man sich auch – langfristig betrachtet – digital zu Tode optimieren.
Welche sind die bestimmenden Trends, die in den kommenden Jahren das Finanzmarketing prägen werden?
Brandtner: Trendprognosen sind wahnsinnig schwierig, weil niemand die Zukunft im Detail vorhersagen kann. Ich denke, dass wir zwei wesentliche Entwicklungen haben werden. Auf der operativen Ebene werden wir einen Wettbewerb haben, wie man mit bestehenden und neuen digitalen Tools den Kampf um die Kunden gewinnt. Auf der strategischen Ebene werden wir einen Kampf zwischen bestehenden Geschäftsmodellen und neuen nur digitalen Geschäftsmodellen haben. Dabei müssen wir vor allem auch hier in Europa aufpassen, dass wir das nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance sehen. Wenn man heute etwa einen Blick auf die „Digital Natives“ unter den Top 100 der wertvollsten globalen Marken laut Interbrand wirft, dann sieht dies nach Markenwert gereiht so aus: Amazon, Google, Facebook, Instagram, YouTube, Tesla, Netflix, Ebay, Salesforce, PayPal, Spotify, LinkedIn, Uber und Zoom. Hier sieht man klar ein amerikanisches Übergewicht und nur eine europäische Marke, nämlich Spotify. Dies sollte man aus europäischer Sicht klar auch als Warnschuss sehen. Heißt: Wir stehen den Möglichkeiten des Internets in vielen Fällen viel zu defensiv gegenüber. Statt neue Geschäftsmodelle selbst zu lancieren, überlegen wir uns viel zu oft, wie wir diese regulieren können. Übertrieben formuliert. Wenn die USA Amazon, Facebook und Google haben, haben wir die DSGVO.
Michael Brandtner, Markenexperte und Positionierungsberater bei Ries Global, hält bei der ForumF Konferenz die Afternoon Keynote „New Branding – Von der Massen‐ zur Relevanzmarke“. Die ForumF Konferenz findet am 5. Oktober in der Wiener Innenstadt statt. Sichern Sie sich jetzt hier Ihr Ticket!