Wie ordnen Sie den Stellenwert von User Experience in Österreich im internationalen Vergleich ein?
Josef Mayerhofer: Grundsätzlich sind die Erwartungen an digitale User Experience weltweit und somit auch in Österreich in den letzten zwei Jahrzehnten stark gestiegen. Dieser Trend ist eng verbunden mit den Entwicklungen im Silicon Valley, wo digitale Experiences kontinuierlich verbessert werden. Nutzer erwarten heute, eine digitale User Experience auf Qualitätsniveau von führenden Plattformen wie Airbnb oder Gmail. Der Status der User Experience in Österreich reflektiert diese global gestiegenen Anforderungen. Viele österreichische Unternehmen haben erkannt, dass exzellente UX kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist, um im digitalen Zeitalter erfolgreich zu sein. Trotz dieser Erkenntnis gibt es jedoch eine Bandbreite bei der Umsetzung. Während einige Branchenführer und Start-ups durch innovative Ansätze und Lösungen im Bereich UX international Aufmerksamkeit erregen, gibt es auch Unternehmen, die noch am Anfang ihrer UX-Reise stehen. Im Schnitt liegen österreichische Unternehmen daher meist einige Jahre hinter dem internationalen Fortschritt.
Welche Entwicklungen und Trends fallen Ihnen als Experte/Expertin besonders auf?
Mayerhofer: Es ist spannend zu sehen, dass die UX-Welt von zwei Seiten her angetrieben wird. Auf der einen Seite steht der technologische Fortschritt. Am heißesten gekocht wird hier – wie gerade überall – die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen. Diese Technologien versprechen, die Art und Weise, wie wir User Experience gestalten und welche Arten von User Experiences in der Zukunft möglich sein werden, grundlegend zu verändern. Sie ermöglichen es uns, personalisierte Erlebnisse zu schaffen, die auf die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben der Nutzer zugeschnitten sind. Auf der anderen Seite verändern sich dadurch Arbeitsprozesse und ganze Berufsbilder. 0815-Designs von einem Menschen erstellen zu lassen, ist dann einfach nicht mehr ökonomisch. Doch während die Möglichkeiten beinahe grenzenlos erscheinen, befinden wir uns momentan noch in einer Phase der Erwartung und des Experimentierens. Ein Bereich, der bereits zeigt, wie KI unsere Interaktion mit Technologie revolutionieren wird, sind die Voice User Interfaces (VUIs). Die Aussicht auf eine wirklich intelligente Version von Siri, Alexa oder anderen digitalen Assistenten eröffnet neue Möglichkeiten für Unternehmen, ihren Kunden Services auf innovative Weise zur Verfügung zu stellen. Neben den Technologien gibt es aber auch den UX-Antrieb, der von innen heraus wirkt. Ethik, Nachhaltigkeit, Inklusion und Barrierefreiheit sind gesellschaftlich wichtige Themen und nehmen daher auch in der digitalen Welt einen hohen Stellenwert ein. DesignerInnen sind sich heute bewusst, dass digitale Produkte unsere Wahrnehmung beeinflussen und gesellschaftliche Normen verstärken können. Eine inklusive UX etwa berücksichtigt die Vielfalt der Nutzer, einschließlich Menschen mit Behinderungen, und sorgt dafür, dass jeder Zugang und ein positives Erlebnis hat. Projekte, die sich durch ihre barrierefreie Gestaltung auszeichnen, zeigen, dass ein Design, das alle Nutzer einschließt, nicht nur ethisch geboten, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Denn Accessibility ist am Ende immer auch Usability.
Welches heimische Projekt rund um UX betrachten Sie als Vorzeigeprojekt?
Mayerhofer: Es wäre natürlich unfair, etablierte Unternehmen direkt mit Startups zu vergleichen, bei denen digitale User Experience von Anfang an Teil der DNA ist. Startups wie Tourradar oder, wenn man etwas weiter in der österreichischen Startup-Geschichte zurückblickt, Runtastic haben in Sachen Nutzerzentrierung und digitale Experience hervorragende Arbeit geleistet. Bei den etablierten Unternehmen sticht George von der Erste Group als absolutes Vorzeigeprojekt hervor. George hat es geschafft, ein digitales Banking-Erlebnis zu kreieren, das sich nicht nur mit den Angeboten von Newcomern und Challenger-Banken messen kann, sondern in vielen Aspekten führend ist. Was George besonders bemerkenswert macht und zum Vorzeigeprojekt erhebt, ist die Tatsache, dass die Erste Group hier auch das Organisationsdesign verändert hat. Um das Ziel einer guten User Experience zu erreichen, hat sich auch überlegt, wie schaffen wir es, so etwas innerhalb einer altgedienten Organisation zu realisieren und hat eben mit George Labs eine unabhängige Einheit geschafft, die sich eben außerhalb des Silo-Denkens und der Konventionen des restlichen Unternehmens bewegen darf und genau aus diesem Grund eben auch neue und moderne Wege einzuschlagen kann.
Welches internationale Projekt ist Ihnen in den vergangenen Monaten aufgefallen?
Mayerhofer: Dafür gehe ich gerne noch einmal zu den Aspekten KI und Sprachschnittstelle zurück. Hier gibt es ganz aktuell zwei Projekte, die derzeit sehr spannend und auffällig sind – auch wenn ich beiden derzeit nicht prophezeien möchte, dass sie Erfolg haben werden. Aber sie zeigen schön, in welche Richtung es gehen kann. Humane mit ihrem AI-Pin und der Rabbit R1. Das sind beides Geräte, die uns versprechen, digitale Assistenten zu ermöglichen, die uns auf einem viel nützlicheren Level helfen kann. Wie gut diese Produkte dann am Ende funktionieren werden, steht für mich dabei eher im Hintergrund. Interessant ist das Konzept, das zeigt, User Experience muss nicht etwas sein, das man sehen kann. Bei User Experience geht es darum, einen guten Service anzubieten. Und das wird uns die nächsten Jahre sicher sehr beschäftigen.
Welchen schnell umsetzbaren Tipp in Sachen User Experience können Sie für Marketingverantwortliche in Unternehmen empfehlen?
Mayerhofer: Der schnellste Tipp liegt nicht beim Designen, viel sinnvoller finde ich, sich einfach mal eine Stunde zum Testen zu nehmen. Testen kann man die eigene Webseite, die App, aber auch den Auftritt auf Google Maps, LinkedIn-Profile oder Werbebroschüren. Innerhalb einer Stunde kann man mit einer Testperson sprechen und sich Notizen zu den Ergebnissen machen. Dieses Experiment hat gleich zwei positive Ergebnisse. Zum einen gewinnt man wertvolle Einblicke in die eigenen Kommunikationsmaterialien, erhält direktes Feedback von NutzerInnen, wodurch Missverständnisse aufgeklärt werden können. Es ist erstaunlich, wie viel man bereits von der ersten Testperson lernen kann. Darüber hinaus sieht man durch diesen Ansatz, wie wichtig es ist, sich mit den eigenen Kund:innen auseinanderzusetzen. Statt ständig neue Inhalte zu produzieren, sollte der Fokus darauf liegen, die bestehende Kommunikation zu verbessern und mit hochwertiger Qualität auszustatten. Für alle, die sich in diesem Bereich ausprobieren möchten, bietet die Veranstaltungsreihe “Usability-Testessen” in Österreich oder Deutschland eine hervorragende Gelegenheit, in einem lockeren Rahmen wertvolles Nutzerfeedback zu sammeln und die eigene User Experience zu verbessern.
Dieses Interview mit Josef Mayerhofer (Empatic) ist Teil einer Interviewserie mit Mitgliedern des MCÖ Digital Marketing Experts Pool in Kooperation mit Internet World Austria. Stephan Kreissler ist Initiator und Leiter des Pools der Digital Marketing Expertinnen und Experten. Er wird unterstützt von Harald Rametsteiner, Leiter des berufsbegleitenden MBA-Lehrgangs Digital Marketing.