Irgendwann wird’s mit der Künstlichen Intelligenz auch unlustig

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Albert Sachs
Viele Anwenderinnen und Anwender sehen hinter der Künstlichen Intelligenz kein Werkzeug, sondern einen Ausdruck von Kreativität. Das ist eine grundfalsche Ansicht. Insbesondere dann, wenn sie in der Werbung auftaucht.

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Nehmen wir beispielsweise die Ärzteschaft. Das ist eine jener Berufsgruppen, die neben den Creative Industries vielleicht am massivsten von der Künstlichen Intelligenz (KI) betroffen ist. Aber Ärztinnen und Ärzte neigen meist nicht dazu, sich zu brüsten, sie hätten eine Diagnose nunmehr dank der KI gestellt, gar eine Operation mithilfe des neuen technischen Wunderwerks durchgeführt. Nein, die Mediziner:innen erbringen ihre Leistung, sind vielleicht stolz auf ihre Expertise, aber klopfen sich wegen technischer Innovationen nicht auf die Brust und bejubeln nicht den Einsatz als einen großartigen Fortschritt ihrer Zunft. Das eigene Können, der allgemeine Fortschritt in der Medizin zählt. 

Ganz anders viele Werberinnen und Werber. Die KI gilt ihnen als Faszinosum, als technisches Gadget. Nicht als ein neues Werkzeug ­– „nice to have“ wie in den Praxen und Kliniken, sondern als „Must-have“. Denn die Kreativschmieden sind natürlich hip, immer vorne mit dabei. Darum wird der Einsatz der KI auch als großer kreativer Wurf, als schöpferischer Prozess gefeiert und nicht als simpler Gebrauch eines neuen Arbeitsinstruments gesehen.

Aktuell bejubeln gerade der Vermarkter Seven.One Media, die Agenturen Havas Media und Havas Play sowie der Kunde Lacalut – in Deutschland – eine derartige „KI-Revolution im TV“. Genau handelt es sich nach Angaben der beteiligten Unternehmen um „den ersten vollständig KI-generierten Branding-Spot im deutschen Fernsehen“. Es wird getrommelt, was das PR-Zeugs hält. Der „emotionale und fotorealistische Spot“ wurde zum 100 Jahre Jubiläum von Lacalut kreiert und ob seiner „innovativen“ Umsetzung sogar in einer eigenen Spot-Premiere auf allen Sendern der ProSiebenSat.1‑Gruppe sowie der Streamingplattform Joyn ausgestrahlt.

„Statt gecasteter Protagonisten, aufwendiger Kulissen und Kostüme setzt der Spot auf die Kraft der KI, um die Geschichte von Lacalut in den letzten 100 Jahren zu erzählen“, heißt es zur Kreation. Sogar die Musik und der Voice-over-Sprecher wurden vollständig per KI umgesetzt. Doch wen interessiert’s? Auf Seite der Konsumentinnen und Konsumenten wird sich deswegen niemand endlos Zahnpasta auf sein Bürstl schmieren.

„Mit diesem KI-Spot schreiben wir TV-Geschichte“, wird der Chief Commercial Officer von ProSiebenSat.1 zitiert. „ Wir beweisen, dass KI nicht nur ein Buzzword ist, sondern ein mächtiges Werkzeug für kreative und emotionale Werbung.“ Der Geschäftsführer auf der Kundenseite ergänzt: „Der KI-Spot bringt den Wandel der Marke im Verlauf der Zeit auf den Punkt und ist damit Herzstück unserer breit angelegten Branding-Kampagne. Die innovativen Ideen von Seven.One Media und Havas haben uns sofort überzeugt.“ Und schließlich noch der CEO der Agentur: „Die Zeitreise in die Vergangenheit im Spot ist gleichzeitig ein Blick in die Zukunft der Spotproduktion. Diese Kampagne ist ein Meilenstein für Lacalut und für die Spotproduktion in Deutschland. Wir freuen uns, dass wir hier als Agentur an Bord sein und diesen historischen Schritt mitgestalten dürfen.“

Genau. Unter „historisch“ und „Meilenstein“ macht’s die Werbung nicht. Doch ob des allgemeinen Jubels und der euphorischen Superlative fällt niemanden auf, dass die Werbung damit eine ihrer ureigensten Fähigkeit völlig verleugnet, um nicht zu sagen aufgibt: den schöpferischen Kreativprozess, die menschliche Kreativität.

Dafür wurden „Hippiefrisuren oder zeitgemäße Bärte“ per KI optimiert. Per „state of the art Text-to-Image-Tools“. Vielleicht nur Image-Tools. Besser noch, technisches Tool. Schlichtes Werkzeug.

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