Es geschah im Juni 2013, als sich die weltweite Werbe- und Marketing-Community einmal mehr im französischen Küstenstädtchen Cannes versammelte, um eine Woche lang die Cannes Lions, das renommiereste Werbefestival dieses Planeten, zu begehen. Schon damals gab es im Rahmen der Cannes Lions, neben den Preisen für Print, Outdoor, Direct Marketing, Online, TV, Film und so weiter einen Wettbewerb für Branded Content, in dem zusätzlich zu den Löwen in Gold, Silber und Bronze auch ein Grand Prix vergeben werden sollte. Und dieser Grand Prix im Bereich Branded Content war eigentlich für ein bis dato singuläres Ereignis reserviert, dass mehr oder minder die gesamte Welt in seinen Bann gezogen hatte: die Rede ist vom Stratosphärensprung des österreichischen Base Jumpers Felix Baumgartner, den dieser dank seinem Geldgeber Red Bull absolviert hatte. Die Werbecommunity war sich einig, dass Baumgartners Stratosphärensprung nicht nur aus sportlicher und wissenschaftlicher Sicht einzigartig gewesen war, sondern eben auch aus Marktkommunikationssicht. Und genauso waren sich die Werber und Marketer allen Herren Länder einig, dass der Stratosphärensprung bei den Cannes Lions 2013 fett absahnen würde, also nicht nur bei den Branded Content Lions, sondern auch noch in ein paar anderen Wettbewerben des Werbefestivals an der Côte d’Azur. Und so durfte der Red-Bull-Coup in der Stratosphäre in den meisten Cannes-Lions-Vorhersagen renommierter Werber und Fachjournalisten damals natürlich nicht fehlen.
Aber wie so oft agierte Red Bull nicht so, wie alle anderen es erwartet hatten. Red Bull hatte anlässlich von Baumgartners Meisterleistung zwar eine Megashow im Fernsehen abgezogen und Millionen Menschen weltweit stundenlang vor die Empfangsgeräte gelockt, aber bei den Cannes Lions hatte das Unternehmen von Didi Mateschitz den Stratosphärensprung schlicht und ergreifend nicht eingereicht. Das ging so weit, dass in den Juries bei den Cannes Lions ernsthaft darüber diskutiert wurde, ob man Red Bull trotzdem einen Grand Prix oder einen Sonderpreis zuerkennen sollte. Aber selbiges war und ist in Statuten der Cannes Lions nicht vorgesehen. Wer an einem Wettbewerb nicht teilnimmt, kann diesen auch nicht gewinnen. Punkt. Aus. Auch wenn der Grand Prix in der Branded Content Competition der Cannes Lions 2013 für Red Bull eigentlich abholbereit am Silbertablett stand.
Ziemlich genau zwölf Jahre später wird bei den Cannes Lions 2025 wieder ein Cannes Löwe bereitstehen. Und zwar für das Comeback von Österreichs Skilegende Marcel Hirscher, der dann zumindest eine Saison lang für die Niederlande die Weltcuphänge hinuntergewedelt sein wird. Denn auch das Comeback des erfolgreichsten Skisportlers aller Zeiten ist ein Husarenstück sondergleichen. Das Kalkül ist klar: Die gesamte Skiwelt wird Hirschers Comebacksaison entgegenfiebern und die gemeinsam von Hirscher und Red Bull hochgezogene Skimarke Van Deer wird bereits Monate vorher und dann die ganze lange Saison lang im Fokus aller Wintersportinteressierten. Viele Stunden an Senderzeit werden dafür aufgewendet werden, Marcel Hirschers Leistungen, aber natürlich auch die Performance der Skimarke Van Deer zu analysieren und jedes vermeintlich noch so unwesentliche Detail zu sezieren – teilweise sicher auch zum Leidwesen der anderen Skimarken und vor allem der anderen Athleten.
Das Comeback von Marcel Hirscher wird die Weltcupsaison bei den Herren in eine riesige Realityshow transformieren, in der es eigentlich nur darum geht, ob es ihm gelingt, an frühere Leistungen anzuschließen und wie sehr er mit den jetzt erfolgreichen Skifahrern mithalten kann. Wenn man die Präsenz der Marken Hirscher und Van Deer und damit auch Red Bull in sämtlichen Medien addiert, wird man auf astronomische Werte kommen. Das Ganze wird als Werbefurioso der besonderen Art in die Geschichte eingehen und wir alle, die wir einigermaßen am Alpinskisport interessiert sind, werden uns noch wundern, was da noch alles möglich wird. Aber so war das doch immer mit Red Bull: Konventionen waren der Marke wurscht und angebliche Limitierungen sowieso. Siehe Red Bull Salzburg und Red Bull Leipzig. Und siehe Formel 1. Für Red Bull gilt nicht einmal „The sky is the limit”. Und wenn Red Bull/Van Deer bei den Cannes Lions 2025 einreicht, dann wird es für das Hirscher-Comeback zumindest einen Goldenen Löwen geben. Aber wer weiß schon, ob Red Bull das Projekt überhaupt einreicht.