Knalleffekt, einen Tag vor der Wiener Gemeinderatswahl. Per Aussendung (und Stelleninseraten auf ihrer Website) kündigen die NEOS an, zur bevorstehenden Neubestellung im ORF-Stiftungs- und ‑Publikumsrat die ihnen zustehenden Mandate öffentlich auszuschreiben und transparent zu vergeben. Dazu heißt es in dem knappen Text: „Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Entparteipolitisierung und zur Stärkung der Unabhängigkeit des ORF geleistet. Interessierte sind herzlich eingeladen, sich zu bewerben.“
Das klingt nicht nur völlig überraschend, sondern wäre tatsächlich ein erster Schritt zur Befreiung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus seiner massiven politischen Umklammerung. Allerdings wird erst die tatsächliche Vergabe der NEOS-Sitze in den ORF-Gremien in den nächsten Wochen zeigen, wie ernst es den Pinken damit wirklich ist.
Gesucht werden nun medienaffine Menschen, deren Fachwissen und möglicherweise auch einschlägige Berufserfahrung sie für einen der Sitze in den beiden ORF-Gremien qualifiziert. Interessierte Menschen können sich bis spätestens 5. Mai dieses Jahres schriftlich über die Website der NEOS bewerben.
„Stiftungs- und Publikumsrat tragen eine hohe Verantwortung für den ORF, deshalb wollen wir die besten Köpfe für diese Gremien. Die öffentliche Ausschreibung dieser Funktionen steht für einen transparenten Umgang mit politischer Verantwortung und ist ein konkreter Schritt, um parteipolitischen Einfluss im ORF nachhaltig zurückzudrängen“, schreibt NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter.
Dieser Schritt der NEOS mag die gelernten Österreicherinnen und Österreicher überraschen. Denn bei der Entpolitisierung des ORF zeigten sich die Parteien bisher so humorlos wie ihre Chefideologen in den Parteisekretariaten bei der Formulierung des eigenen Programms. Nun prescht ganz unvermutet der kleinste Partner in der Dreierregierungskoalition vor und versucht das bisher Unmögliche. Wenn auch bis zu einem ersten, kleinen Entpolitisierungsschritt des ORF noch einige Fallstricke und Hürden ausgelegt sind.
Da ist zuallererst die extrem knapp bemessene Bewerbungsfrist von nicht einmal zwei Wochen, in die auch noch ein Feiertag (1. Mai) fällt. Die enge Terminsetzung ist vermutlich der nahenden Neubesetzung des Gremiums im Juni dieses Jahres geschuldet. Bleibt also die Frage, ob sich innerhalb so weniger Tage genügend fachlich qualifizierte – der Verwaltungsgerichtshof (VfGH) mahnte dieses Knowhow in einem eigenen Urteil ein – und auch parteiferne Bewerberinnen und Bewerber finden werden. Dem folgt dann das eigentliche Auswahlverfahren. Darüber, wie dieses ablaufen soll und wie sie die angekündigte Transparenz gewährleisten wollen, haben die NEOS noch nichts verlauten lassen.
Finanziell bietet der Job kaum Anreize. Einem ORF-Stiftungsrat stehen eine Monatspauschale von 100 Euro und ein Sitzungsentgelt von 50 Euro pro Session zu. Bleiben Ruhm und Ehre. Und ein bisschen Macht. Ob die allerdings reichen werden, um den Aufwand – Arbeitszeitentfall (Eine Stiftungsratssitzung zieht sich üblicherweise über einen ganzen Tag hin.), Reisen, Recherchen und ständige Auffrischung des Medienwissens – abzugelten, sei dahingestellt. Gerade der letzte Punkt wird auch einiges an persönlichem Einsatz erfordern, zumal ein parteiunabhängiges Gremienmitglied vermutlich nicht (vollumfänglich) auf den Informationsfluss und das Knowhow aus dem Parteiapparat zurückgreifen wird können.
Trotz dieser Bedenken darf die nunmehrige Ankündigung der NEOS vorerst einmal als ein spannender erster, kleiner Schritt zu einer fachlich-sachlichen Medienpolitik in diesem Land, zu einem partei- und regierungsunabhängigen ORF gesehen werden.
Zum Wohle der medieninteressierten Menschen in diesem Land. Zum Wohle des ORF. Zum Wohle seiner Hörer:innen, Seher:innen und User:innen. Zum Wohle der Österreicherinnen und Österreicher.
Warten wir einmal ab.