Die Crux mit der Neuerfindung des Journalismus

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Albert Sachs
Viele Online-Medien starten mit hehren Zielen und wollen den Journalismus neue erfinden. Sie scheitern. Auch an den eigenen Ansprüchen. Guter Journalismus, auch online, ist eben viel mehr Handwerk als Attitüde.

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„All the News That’s Fit to Print.” Diesen genialen Satz schrieb Adolph S. Ochs, der damalige Eigentümer und Herausgeber der New York Times, 1896 als Motto und Generallinie unter den Titelkopf des Blattes. Noch heute findet sich dieser Slogan im Impressum der „Times“. Ochs versuchte mit diesem einen Satz zu beschreiben, wofür sein Blatt stand, dass es Ziel der Zeitung sei, möglichst unparteiisch und umfassend zu berichten. Aber eben nicht alles. Eine klare publizistische Absicht. Auftrag der „New York Times” – festgehalten in einem einzigen Satz.

Seither ist viel Wasser den Hudson hinuntergeflossen. Auch die Donau. In all diesen Jahren haben sich viele Blattmacher, auch einige Blattmacherinnen waren wohl darunter, an der Herausgabe einer Zeitung, eines Magazins versucht. Und sind daran gescheitert. Seit etwas mehr als einem, zwei Jahrzehnten reihen sich in diese Phalanx der unerschrockenen Medienpioniere auch zahlreiche Gründerinnen und Gründer von Onlinemedien ein. Doch während die „New York Times” noch immer besteht und ihre Online-Ausgabe als eine, wenn nicht die erfolgreichste der Welt gilt, scheitern viele der Digital-Medienmacher:innen. Trauriger Anlass für diesen Kommentar ist dann auch das letztmalige Erscheinen des österreichischen Online-Magazins „tag eins“.

Die Gründe für diesen massenhaften Schiffbruch diverser Online-Gründungen mögen viele sein, lassen sich meist allerdings auf einen Punkt bringen: Es fehlt den Digi-Pionier:innen an jener Präzision, an jenem fokussierten publizistischen Verständnis, die bzw. das Adolph S. Ochs so sehr in einen einzigen Satz kanalisierte.

Die Ambitionen der jungen Medienmacher:innen sind zwar in den allermeisten Fällen ebenso groß wie ihr Ego, doch ihr Blick in die Medienrealität und damit auch in die Wirtschaftswelt wirkt vielfach ziemlich verschwommen. Ohne tatsächlich deren sogenannte Blattlinie – ein entsprechender Begriff für das digitale Universum fehlt noch – zu zitieren, ist da oft von einem anderen, einem neuen Journalismus die Rede. Von anderen und den wahren Themen. Und ganz oft, von der Bedeutung des Journalismus für die Demokratie und deren Rettung.

Unzweifelhaft, der Journalismus und mit ihm viele klassischen Medien stecken aktuell in einer Krise. Allerdings handelt es sich dabei meist nicht um eine inhaltlichen Krise, sondern um eine ökonomische, ausgelöst von den sich plötzlich auftuenden Kanälen in der Digitalwelt, von der neuen Vielfalt der publizistischen Möglichkeiten und Ausdrucksformen. Allen voran Social Media und Fake News. In diese digital-mediale Ursuppe tauchen nun die neuen Medienmacher:innen ein und versuchen, darin ihr Objektivitäts‑, Wahrheits‑, Demokratie‑, Unabhängigkeitsfähnchen oder mehrere davon gleichzeitig einzuschlagen.

Diesen Anspruch hatten wir als Publizistikstudenten bzw. meine Generation – und vermutlich einige davor – auch schon. Stichwort Gegenöffentlichkeit. Und sind ebenso kläglich wie krachend damit gescheitert. Viele Neugründungen von Online-Medien inklusive ihrer hochgespreizten publizistischen Richtlinien waren und sind nichts anderes als die Fortsetzung von Schüler- und Studentenzeitungen – nur eben mit anderen Mitteln. Ambitioniert, leidenschaftlich, ausbeuterisch und noch viel mehr. Aber eben nicht relevant, nicht marktkonform, nicht Leser- und Userinnen-orientiert.

Schreiben für sich selbst, die eigene Community, Berichte aus dem eigenen Leben, Reportagen aus dem persönlichen Alltag und von privaten Reisen mögen vieles sein, aber kein allgemeingültiger Journalismus. Wer glaubt, die Welt mit „objektiven Nachrichten“ und den „den tatsächlichen Geschichten hinter der Wahrheit“ beglücken zu müssen, sollte sich bewusst sein, dass es wesentlich mehr Menschen gibt, die sich für das Gärtnern, Kochrezepte, Fliegenfischen und vieles andere mehr interessieren als für Welterklärungen. Darum gibt es auch wesentliche mehr funktionierende Online-Portale fürs Gärtnern, Kochrezepte, Fliegenfischen und ähnliche Hobbys als existenzfähige Nachrichten- und Informations-Seiten.

Trotz aller Ansprüche vom Anderssein bieten viele News-Seiten nichts anderes als „more oft he same“. Hingegen heißt es weitgehend „Fehlanzeige“ zu journalistischen Experimenten und neuen publizistische Formen. Nichts von einem New Online-Journalism oder einer digitalen Version des Gonzo-Journalismus. Kaum Versuche, Inhalte in neuer Form zu präsentieren.

Dafür das Perpetuieren von der Demokratie in Gefahr und deren Rettung. Aber warum dieser permanente politische und gesellschaftspolitische Anspruch? Warum diese hehren, letztendlich aber inhaltsleeren Ziele? Die Demokratie ist nicht gefährdet. Klassische Medien sind es schon. Wo bleibt der neue publizistisch substanzielle Anspruch? Wo bleiben die neuen journalistischen Formen? Die Überraschungsmomente der digitalen Medien?

Die Digitalisierung würde viele Chancen für innovativen Journalismus bieten. Doch vielen jungen Medien-Projekten fehlt der tatsächliche Innovationsgeist. Eine klare Position. Und, leider auch, die ökonomische Weitsicht. Werbeverzicht oder der Verweise auf eine Pay-Wall und damit auf scheinbare wirtschaftliche Unabhängigkeit sind ein Statement, aber keine publizistische Positionierung.

„All the News That’s Fit to Print.” Beinahe 130 Jahre alt. Noch immer gut. Klar, einfach, eindeutig. In all diesen Jahren und schon gar nicht in der mittlerweile auch nicht mehr so jungen Ära des Online-Journalismus ist es irgendjemandem gelungen, einen ähnlich genialen Slogan für ein Medium zu formulieren. Wäre doch ein Ansatz, Adolph S. Ochs satzgewordene journalistische Vision in die Digitalwelt zu transformieren.



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