Man liest die Headline und ist verstimmt. Eine ärgerliche Praxis, die sich immer mehr durchsetzt. Medien, oft auch solche mit klingenden Namen und hochseriösen Image aus dem klassischen Segment, veröffentlichen auf Social Media eine unaufhörliche Flut an Meldungen und gieren um Aufmerksamkeit. Der atemlose Wettbewerb um Userinnen und User lässt alle guten Sitten und seriösen Ambitionen verfallen.
Um der schnöden Klickraten wegen werden alle anderen Werte über Bord gekippt. Image und Marke sind längste egal geworden. Jede Positionierung wird aufgegeben. Journalistisches Ethos scheint ein Fremdwort. Sensationsgier und Skandalisierung bestimmen das Geschehen. Es geht rasant in Richtung Boulevard und dort manchmal unter jede Scham- und Schmerzgrenze. Jeder Klick zählt.
Dagegen ist nicht nur mehr Verantwortung gefordert, sondern auch massives Gegensteuern. Von jeder und jedem einzelnen Verantwortlichen. Von jenen, die ganz oben in der publizistischen Hierarchie sitzen – von Chefredakteur:innen und Herausgeber:innen, von Chef:innen vom Dienst und allen Ressortverantwortlichen. Aber auch von jedem einzelnen Medienunternehmen – zumindest dann, wenn es mit seiner Marke mehr als einen Hauch an Glaubwürdigkeit vermitteln will. Sowie von den diversen Branchenverbänden und Interessenvertretungen.
Das Gegenteil ist der Fall. Längst blasen auch die seriösesten Medien mit ihren Social-Mediaaktivitäten pure Nichtigkeiten zum vermeintlichen Skandal auf und eifern mit Nullmeldungen im Wettbewerb um Klicks und Kunden.
Die Folgen sind klar. Imageverlust, wachsendes Glaubwürdigkeitsdefizit, zunehmende Dominanz von Fake-News und alternativen Fakten. Nicht nur jedes einzelnen Mediums, das sich an diesem Spielchen beteiligt, nicht nur bei etablierten Medienmarken, sondern der gesamten Medienbranche und schreibenden Zunft.
Die aktuelle Entwicklung auf Social Media erinnert ein bisschen an die Zeiten Johannes Gutenbergs und die josephinischen Reformen in Österreichs. Sowohl die Erfindung der beweglichen Lettern im Buchdruck um 1450 als auch die 1781 von Kaiser Joseph II. gelockerten Zensurvorschriften in der Habsburgermonarchie führten zu einer zuvor nicht gekannten publizistischen Vielfalt. In beiden Fällen dominierten nicht die aufgeklärten Schriften das Angebot, sondern Journale, Diarien und Broschüren, die Sensationelles und Skandalöses aus aller Welt zu berichten hatten. Das Spektrum reichte von rosafarbenen Elefanten über neunschwänzige Katzen bis zu den vermeintlichen Hexen.
Das Internet und die Digitalisierung werden von ihrer Bedeutung für die Gesellschaft vielfach mit der Erfindung des Gutenbergschen Buchdruck-System gleichgesetzt. Sie stehen zweifellos für eine Medienrevolution. Diese führte im Fall Gutenbergs in einer Aufwärtsspirale letzendlich zu Zeitungen und anderen Medienformen, zu einem seriösen Journalismus und einer weitgehend aufgeklärten Gesellschaft.
Die digitale Transformation scheint diese Spirale wieder nach unten zu schrauben. Ein Spielchen, an dem sich mit ihren boulevardesken, skandalisierenden Schlagzeilen auch immer mehr seriöse Medien beteiligen. Das ist nicht nur lästig, lähmend, ermüdend und enervierend, sondern ganz einfach unwürdig.
Das Internet, Social Media, Content, die Userinnen und User wollen mehr als aufgeregte Skandal-Brüder und ‑Schwestern.