Seit die Suche nach MitarbeiterInnen verstärkt auch über Digital- und Social Media-Kanäle läuft, taucht immer öfter ein Satz in den Überschriften und als Slogan auf: „Wir suchen dich.“
„Wir suchen dich.“ – Dahinter steckt eine der einfallslosesten und auch eine der beliebigsten deutschsprachigen Werbeformeln. Eine der verlogensten Schlagzeilen und Slogans. Das gilt speziell, wenn diese inhaltsleere Formulierung für die Personalsuche eingesetzt wird. Jetzt kommt natürlich der Einwand, dieser Slogan weise doch eine der größten und längsten Geschichten in der Werbung auf. Er werde in den USA ebenso selbstverständlich, wie alltäglich eingesetzt: „We want you!“
Ja, eben. In den USA. In der deutschen Sprache fehlt ihm jedoch jeglicher Hintergrund und die gesamte historische Tradition. Vor allem aber übersehen jene, die so argumentieren, dass dieser Werbespruch in den USA, wenn er für kommerzielle Zwecke eingesetzt wird, meist nicht ohne Zusatz – um einen in der persönlichen Ansprache wichtigen und sinnergänzenden zweiten Teil – auskommt. „We want you to be completely happy with your purchase.“ – „Wir wollen, dass Sie mit ihrem Einkauf vollkommen zufrieden sind.“ So oder so ähnlich klingen die heutigen „We want you“-Werbebotschaften im Original.
Erfunden wurde „We want YOU!“ von dem 1877 in New York geborenen James Montgomery Flagg. Er galt nicht nur als einer der talentiertesten Illustratoren seiner Zeit, sondern auf dem Höhepunkt seiner Karriere als der bestbezahlte Zeitschriftenillustrator in ganz Amerika. Ruhm und Ehre, vor allem aber ein gutes Einkommen waren dem Lebemann wichtig.
Als die USA in den Erste Weltkrieg eintraten, stellte der damals 39-jährige Flagg sein Können freiwillig der Division of Pictorial Publicity (DPP) zur Verfügung, um nicht in die Armee einberufen zu werden. Die ursprünglich vom Illustrator Charles Dana Gibson gegründet Gruppe war aus dem Bestreben heraus entstanden, Illustrationen als Mittel zur Förderung der Kriegsanstrengungen einzusetzen, und wurde vom damaligen US-Präsident Woodrow Wilson rasch in das Committee on Public Information aufgenommen.
Für die DPP entwarf Flagg eine Serie von insgesamt sechsundvierzig Plakaten, die Kriegsanstrengungen der USA in ein positives Licht stellen sollten. In vielen dieser Sujets tauchte auch die Figur des Uncle Sam auf – allerdings als gütiger, beschützender, humorvoller Übervater. Das „We want YOU!“-Motiv hatte Flagg bereits im Juli 1916 für die Zeitschrift „Leslie’s Weekly” geschaffen und nahm es erneut in seine Motivserie für das DPP auf.
Selbst die amerikanische Ur-Version des „We want YOU!“ hätte ohne die Kombination mit der markanten Illustration von Uncel Sam nie seine ikonische Urkraft entfaltet. Vermutlich ist es sogar diese ungewöhnliche und damals neuartige Darstellung der nationalen Personifizierung, die das „We want YOU!“-Sujet so populär machte.
Dieses Bild, das von der US-Armee zur Rekrutierung von Truppen während des Ersten Weltkriegs verwendet wurde, verwandelte den Charakter des amerikanischen Übervaters in eine strenge und mächtige Figur. Die fordernden Augen, der brennende Blick von „Onkel Sam“, sein langer, den Betrachter fast anstupsende Finger, sein hoher, weißer Zylinder mit der Sternen-Binde – all das wirkt auf geheimnisvolle Weise anklagend. Die so bestimmend auftretende Figur und die beinahe unwiderstehliche Pose erwiesen sich als äußerst effektives Sujet, das allein in den Kriegsjahren 1917 und 1918 in mehr als vier Millionen Exemplaren gedruckt wurde. Nach dem Krieg wurden das Motiv und der Slogan, der auch in der ursprünglichen Version komplett „We want YOU! For U.S. Army“ lautet, millionenfach multipliziert, kopiert, variiert und persifliert.
Jetzt haben die Personaler und HI-Profis im deutschsprachigen Raum das „We want YOU!“ vulgo „Wir suchen dich!“ für sich entdeckt. Vom angesagt Online-Versand für elektronisches Zubehör bis zum Chor der TU Wien mag niemand darauf verzichten. Letzterer setzt sogar auf die englische Originalversion. „We want You“.
Doch das „Wir suchen dich!“ zielt – gerade in den digitalen Kanälen – auf alles andere eher ab, als auf eine bestimmte Person. Ein konkretes Du ist damit ganz sicher nicht gemeint. Auch ein nach soziodemographischen Merkmalen oder anderen Kriterien selektiertes Individuum nicht. Vielmehr eine inhomogene Zielgruppe, die durch den vielfach geäußerten Wunsch, der oder die UserIn möge diese Botschaft, dieses Stellenausschreibung doch teilen, immer indifferenter wird.
Als die Stelleninserate noch in erster Linie auf Printmedien und deren Rubrikenmärkte beschränkt waren, wurde diese Formel schlicht nicht verwendet. Es hätte einfach lächerlich und unglaubwürdig gewirkt, wenn auf einer Seite – sagen wir einmal in 17 verschiedenen Inseraten – neben‑, unter- und übereinander gestanden hätte: „Wir suchen dich!“